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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

dialektlied thumbDialekt im Gottesdienst

„Hüt isch e grosses Fäscht"

Dialekt oder Standardsprache? Über diese Frage wird in der Schweiz immer wieder heftig diskutiert. Wie aber steht es damit im Gottesdienst? Darf hier Mundart gesprochen werden?

Die Antwort kann kein absolutes Ja oder Nein sein. Gefragt ist vielmehr ein differenzierter und bewusster Umgang mit beiden Sprachformen.

Wovon reden wir eigentlich?

Der „Brockhaus" definiert Dialekt als „regional begrenzte, ursprüngliche und nicht an die Normen der Standardsprache gebundene Sprachform, im Wesentlichen gesprochene Sprache...". Innerhalb einer Sprachgemeinschaft, z.B. innerhalb des deutschen Sprachraums, lassen sich eine Vielzahl ortsbezogener Dialekte und eine relativ einheitlich geregelte, „standardisierte" Dachsprache, die Standardsprache (auch Hochsprache oder Schriftsprache) unterscheiden. Deutschsprachige Dialekte sind also keine schweizerische Eigentümlichkeit. Auch in unseren Nachbarländern Deutschland und Österreich werden Dialekte gesprochen. Dialekt und Standardsprache sind zwei Sprachformen unserer gemeinsamen Muttersprache Deutsch. Im 17. Jahrhundert führte der Dichter Philipp von Zesen den Begriff „Mundart" für die gesprochene Sprache ein im Unterschied zur geschriebenen Sprache, die er als „Schreibart" bezeichnete. Heute werden die Begriffe „Dialekt" und „Mundart" meist synonym verwendet.

Dialekt – gesprochene Sprache

Der Begriff „Mundart" macht deutlich: Es geht um jene Laute, die mit der Stimme erzeugt und mit dem Sprechwerkzeug geformt werden. Dialekte tragen die Merkmale gesprochener Sprache an sich: Sie sind spontane, konkrete, bildhafte und lautmalerische Sprachäusserungen, und deshalb auch direkter und schlichter als die Standardsprache (vgl. den Ausdruck „Schlächttiitsch", von schlicht, einfach). Die Spoken-Word-Szene hat die Mundarten für sich entdeckt und macht sich ihre Variantenvielfalt spielerisch und künstlerisch zu Nutze.
„Beim Dialekt fängt die gesprochene Sprache an", soll Goethe gesagt haben. Für die deutschsprachige Schweiz müsste es sogar heissen: Dialekt ist gesprochene Sprache. Denn während unsere nördlichen und östlichen Sprachverwandten im mündlichen Ausdruck beim Sprechen mehr oder weniger fliessend vom Dialekt zur Standardsprache hinüberwechseln, besteht in der deutschsprachigen Schweiz eine klare Trennung zwischen der Standardsprache als Schriftsprache und dem Dialekt als gesprochener Sprache. Ein Deutschschweizer spricht, unabhängig von gesellschaftlichem Status und Bildungsniveau im Alltag Dialekt, im privaten Bereich wie in der Öffentlichkeit, in der Freizeit wie im Beruf. Der Dialekt ist seine Umgangssprache und hat ein entsprechend grosses Gewicht.
Es ist darum kein Zufall, dass sich die Frage nach der liturgischen Verwendung von Dialekt in der Schweiz besonders akut stellt. Denn auch Sprache im Gottesdienst bedeutet in erster Linie gesprochene Sprache. Es geht nicht um das korrekte Persolvieren von Texten oder das Abspulen eines sakralen Programms, sondern um einen lebendigen Dialog, um Beziehungen zwischen Menschen und mit Gott, die wesentlich mündlich zum Ausdruck gebracht werden. Die Begriffe „Dialog" und „Dialekt" haben die gleichen etymologischen Wurzeln (griech. dialegomai = miteinander reden).

 

Stärken und Grenzen des Dialekts

Für uns Deutschschweizer ist die Trennung zwischen Dialekt und Standardsprache so deutlich, dass wir die zwei Sprachformen bisweilen wie zwei verschiedene Sprachen wahrnehmen. Der Dialekt als die gesprochene Sprache liegt uns dabei besser im Mund und geht uns leichter über die Lippen; er ist uns vertrauter, steht unseren Erfahrungen näher. Gefühle äussern wir spontan und differenziert in unserem ureigensten Dialekt. Zur Standardsprache haben wir eine grössere Distanz; sie erscheint uns eher als etwas Fremdes, Angelerntes. Darum verwundert es nicht, dass wir den Dialekt auch in den Gottesdienst hineinnehmen möchten.
Die Kehrseite davon ist die begrenzte kommunikative Reichweite. Stark ausgeprägte Dialekte halten sich in abgeschiedenen Regionen und Tälern am längsten. Sie bewahren noch alte sprachliche Eigentümlichkeiten, die anderenorts verloren gegangen sind. Ihr spezifischer Wortschatz schöpft aus der Lebenswelt der dortigen, meist ländlichen Bevölkerung. Bereits in den Nachbarregionen wird der Dialekt nur teilweise verstanden. Das ist z.B. heute noch beim Walliserdeutschen der Fall. Allerdings werden die Unterschiede zwischen den Dialekten durch die erleichterten Kontaktmöglichkeiten über Medien und Verkehrswege stark nivelliert.
Die Standardsprache dagegen erreicht mehr Menschen. Weil klarer geregelt, ermöglicht sie eindeutigere, umfassendere und komplexere Aussagen. Sie weitet den geographischen und den geistigen Horizont.

Ist Dialekt liturgiewürdig?

Der Dialekt wurde eine Zeit lang als minderwertig erachtet. Er galt als Sprache der Bauern („Puretüütsch"). Heute ist das kaum mehr der Fall. Dialekte werden in ihren eigenen Qualitäten gegenüber der Standardsprache geschätzt. Beide Sprachformen haben ihre je eigenen Merkmale, ihre Stärken und Schwächen. Was bedeutet das nun für die Verwendung im Gottesdienst?
Seitdem die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils die Muttersprachen bzw. Volkssprachen im Gottesdienst zugelassen hat, lässt sich keine Sprachform generell als liturgisch unwürdig qualifizieren. Gerade die Lebendigkeit und Vielfalt mundartlicher Kommunikation kann das Beziehungsgeschehen der Liturgie bereichern und vertiefen helfen. Auch die Übersetzerinstruktion der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung schliesst Dialekte nicht kategorisch für den liturgischen Gebrauch aus (siehe: Facts).
Das Leben der Gottesdienst feiernden Menschen, das vor allem im Dialekt seinen sprachlichen Ausdruck findet, darf in der Liturgie Platz finden. Andererseits soll die Sprache der Liturgie aber auch durch Weite gekennzeichnet sein, dient sie doch nicht allein dem Gebet einzelner, sondern der Feier der ganzen Kirche. Die Standardsprache bringt wohl besser als der Dialekt die Verbundenheit von Christgläubigen über Raum und Zeit hinweg zum Ausdruck. Ein weiterer Vorteil der Standardsprache besteht darin, dass sie – gerade in der deutschsprachigen Schweiz – eine gewisse Distanz zum Alltag zu schaffen vermag und mit Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit assoziiert wird. Liturgie nimmt gewiss den Alltag der Menschen auf, in ihrer Eigenschaft als Feier hebt sie sich aber gleichzeitig davon ab. Die liturgische Sprache ist eine Art religiöse „Fachsprache" mit biblisch geprägten Begriffen, die im Vokabular des Dialekts nicht vorkommen.
Auf jeden Fall darf die Sprache in der Liturgie nicht im allzu Menschlichen und Alltäglichen stecken bleiben und sich nicht auf Klischees beschränken. Sie soll transparent sein für die Tiefendimension des Lebens und offen sein für Gott, den ganz Anderen. Das hängt letztlich nicht von der Sprachform (Dialekt oder Standard) ab, sondern ist eine Frage der bewussten Pflege und ständigen Suche nach einer neuen, lebendigen, gehaltvollen und ausdrucksstarken Sprache, die den existentiellen Erfahrungen der Menschen gerecht wird und bis an die Grenzen des sprachlich Fassbaren heranreicht.

Ein paar Grundsätze zur Verwendung des Dialekts im Gottesdienst

1. Die Teilnahme der Versammelten an der Liturgie im Zuhören und Mitbeten muss gewährleistet sein. Es darf niemand wegen der Verwendung von Dialekt über weite Teile und über längere Zeit hinweg von der Teilnahme am Gottesdienst ausgeschlossen sein, sei es weil jemand den Dialekt nicht versteht oder weil er oder sie gemeinsame Gebete und Lieder im Dialekt nicht mitbeten bzw. mitsingen kann.

2. Die Art, die Situation und der Anlass des Gottesdienstes sind zu berücksichtigen.
Dialekt passt generell besser zu einem schlichten Gottesdienst in einer Kapelle oder auf einer Alp als zu einer feierlichen Kathedralliturgie, er passt besser zu einem Gruppengottesdienst am Werktag (z.B. Kinder-, Seniorengottesdienst) als zum sonntäglichen Gottesdienst der ganzen Gemeinde. Dialekt wird ein grösseres Gewicht einnehmen in stark biographisch geprägten Feiern, wie etwa Feiern an Lebenswenden (Taufe, Trauung, Ehejubiläum, Beerdigung).

3. Auf die Text- und Redesorten und die Besonderheiten des jeweiligen Sprachgeschehens ist zu achten. Biblische Lesungen beruhen auf schriftlichen Texten und verlangen daher von ihrem Wesen her die Schriftsprache. Sakramentale Spendeformeln von hoher performativer Qualität (Ich taufe dich im Namen des Vaters ...), regelmässig wiederkehrende liturgische Formeln (Der Herr sei mit euch) und kirchlich festgelegte liturgische Gebete (Orationen, Hochgebete) rufen ebenfalls nach der Standardsprache. Dialekt eignet sich vor allem für Sprechakte, die sich direkt an die konkrete versammelte Gemeinde richten und die Lebenssituation der Menschen aufgreifen, z.B. Predigt, Fürbitten, Berichte und Erzählungen, Einführungen, Mitteilungen.

4. Dialekt lässt sich gezielt einsetzen als Mittel der Verfremdung und Verlebendigung. Einzelne ungewohnte, kraftvolle, aus dem Leben gegriffene Wörter und Wortschöpfungen oder ganze Mundart-Gebete und -Gedichte, wie z.B. in einen Dialekt übertragene Psalmen (siehe: Geistlicher Impuls) können zum Hinhören anregen und eine allzu eingeschliffene liturgische und theologische Sprache aufbrechen.

5. Auch wenn Dialekt eine spontane Sprachform darstellt, muss seine Verwendung im Gottesdienst vorbereitet sein. Plauderei ist ebenso zu vermeiden wie Verharmlosung (z.B. durch den Gebrauch von Füllwörtern) oder Verniedlichung (z.B. durch Diminutiv-Endungen: -li, -ji). Auch kindgemässe Sprache darf nicht kindisch werden.

6. Die beiden Sprachformen sind mit ihren jeweiligen Eigenschaften zu respektieren. Trotz Nähe zur Standardsprache hat der Dialekt eine eigene Grammatik, einen eigenen Satzbau und einen spezifischen Wortschatz. Prinzipiell sollen darum standardsprachliche Textvorlagen nie aus dem Stegreif in den Dialekt übersetzt werden (dem Dialekt und der Standardsprache zu liebe). Die Testfrage lautet: Würde ich das im alltäglichen Gebrauch und ohne Textgrundlage auch so sagen?

Josef-Anton Willa 

Geistlicher Impuls

Psalm 1

Guet god äs ime sone Möntsch,
wo nid zum Bott vo Böse got,
sich nid mit schlächte Lüüt ylot,
wo nid zu settige, wo spöttlid, ghört,
wöuw är s'Gotts Wöuwe gspürt,
und drum gottsälig Tag und Nacht,
was s'Gestz beföut, ou macht.

Är glycht preziis grad ime Boum,
wo pflanzet isch a Bäch und Wasserquöuwe,
wo d'Frücht tüend ziitig anem schwöuwe,
und s'Loub trotz Sonne nid verdüre tued.
Und was er tued, wird guet.
...

aus: Georg Staffelbach, Grymeti Psalme uff Luzärn Düütsch.

Rex Verlag, Luzern


Facts

"Als notwendig erweist sich ausserdem, im liturgischen Bereich zwischen Sprachen und Dialekten zu unterscheiden. Aufgrund ihrer besonderen Beschaffenheit können Dialekte, die sich für die allgemeine akademische und kulturelle Kommunikation nicht eignen, nicht in den vollen liturgischen Gebrauch aufgenommen werden; denn ihnen fehlen die Beständigkeit und die Weite, die für liturgische Sprachen innerhalb eines grösseren Gebietes erforderlich sind. Jedenfalls soll die Zahl der partikulären liturgischen Sprachen nicht zu sehr vermehrt werden. Das ist notwendig, damit in den liturgischen Feiern innerhalb des Gebietes derselben Nation eine gewisse Einheit der Sprache gefördert wird. Eine Sprache aber, die nicht in den vollen liturgischen Gebrauch aufgenommen wird, ist deshalb nicht ganz vom liturgischen Gebrauch ausgeschlossen. Sie kann, wenigstens gelegentlich, im Allgemeinen Gebet, in Texten, die gesungen vorgetragen werden, in Monitionen oder in Teilen der Homilie gebraucht werden, vor allem wenn es sich um die eigene Sprache der teilnehmenden Christgläubigen handelt."

Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Instruktion "Liturgiam authenticam" (2001) Nr. 12. 13


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