Skip to main content

Praxis

Kirche sein mit aktiver Beteiligung

Praxis

Kirche sein mit aktiver Beteiligung

Lektionar Cover vorne rueck thumbDa will etwas raus, will Kreise ziehen

Das Äussere des Buches überrascht. Es ist kein Buch wie jedes andere. - Eine Meditation zum Einband des neuen Lektionars.

Mystagogische Annäherung an ein Buch

Das Äussere des Buches überrascht.
Es ist kein Buch wie jedes andere.
Es ist recht gross und signalisiert durch die altgoldene Grundfarbe und seine textile Struktur eine hohe Wertigkeit: Es muss etwas Wertvolles drin stehen.

Irritierend wirken die wilden roten Kurven.

Und irritierend wirkt auch, dass das Buch keinen Titel zu haben scheint. Ich kann es drehen und wenden, wie ich will: kein einziger Buchstabe steht aussen drauf. Einzig auf dem Buchrücken ist ein diskretes abstraktes Kreuzzeichen zu entdecken, und unten sind drei Striche angebracht: bloss eine Nummerierung.

Diese wilden Linien ziehen sich über Rücken und Rückseite weiter. Sie umkreisen das Kreuz, bilden aber keine Kreisformen, eher Parabeln, die von der Unendlichkeit her, weit ausserhalb des Buches, herzukommen scheinen und das Buch durchdringen.

Der Kontrast zwischen der in sich ruhenden, edlen Grundgestaltung in Materialität und Farbe einerseits und der dynamischen Sprache der wilden roten Parabellinien andererseits suggeriert: Da will etwas raus, will Kreise ziehen – nicht geschlossene Kreise, sondern etwas will sich weiter verbreiten, ausbreiten. Dieses Etwas kommt aber von weit her. Und muss etwas zu tun haben mit dem Kreuz. Es ist wertvoll. Das Rot der Linien treffe ich zwischen den Deckeln wieder, im Rotschnitt. Die Dynamik auf dem Deckel konzentriert sich hier. Das Buch scheint zu explodieren. Ich muss es öffnen.

Ein Buch enthält Text. Worte. Und ein „normales“ Buch ist aussen entsprechend angeschrieben, damit man weiss, was drin steht. Dieses nicht. Es kommt ohne Deklaration aus. Der Umschlag lässt erahnen: Das Buch enthält das Wort schlechthin, das nicht „angeschrieben“ werden kann, nicht Buchstabe ist, sondern Ereignis; das weitererzählt werden will und Wunder wirkt.

Der wertvolle und zugleich ungeduldige Umschlag spricht zu mir: öffne mich, das Wort will raus. DAS Wort will freigegeben werden. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott: Wort des lebendigen Gottes (vgl Joh 1,1).

Nein, es ist kein Buch wie jedes andere. 

Zugrunde liegende theologische Leitgedanken in Stichworten

  • "Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht." (Dei Verbum 21)
  • Das Wort Gottes ist eine der verschiedenen Präsenzweisen Christi in der Liturgie (vgl. SC 7).
  • Die Verehrung gilt dabei nicht dem Buch in seiner Materialität, auch nicht der Schrift als „Protokoll“.
  • Sakramentale Qualität, also gott-menschliche Beziehungsqualität, wohnt – im optimalen Fall – dem Ereignis der Verkündigung in der gottesdienstlichen Versammlung inne.
  • Die in den Heiligen Schriften „protokollierten“ Heilsereignisse sind dank mündlicher Bezeugung und ihrer Verschriftlichung tradiert. Sie müssen aber durch glaubwürdiges Verkünden je und je wieder „flüssig“ werden, damit die damalige heilende Erfahrung auch heute gehört wird und sich neu ereignen kann. Denn der Glaube kommt vom Hören (vgl. Röm 10,17).
  • Die Buchgestalt ist einerseits blosse Gedächtnisstütze, da es um das lebendige Wort geht. Anderseits ist das Buch auch Symbol für seinen Inhalt. Es muss in seiner äusseren Gestalt etwas vom edlen Inhalt erahnen lassen.
  • Die in der Gestaltung gewählte Symbolik soll etwas von dem Paradox vermitteln, dass das Verehrungswürdige nicht das Buch, sondern das im Akt der Verkündigung aus dem Buch hervorgehende Wort ist; sie soll also eine „ekstatische Qualität“ aufweisen: aus dem Buch tritt etwas Starkes hervor; es drängt nach aussen.

Die Gestaltung der Lektionare wurde 2017/18 von einer internationalen Arbeitsgruppe erarbeitet, die den Bühnenbildner und Paramentenkünstler Christof Cremer, Wien, verpflichten konnte. Im intensiven Austausch zwischen Liturgikern, Verlegergemeinschaft, Buchbinder und Künstler (atelier christof cremer, insb. Julia Oppermann) haben die Lektionare Form angenommen.

Peter Spichtig op (27.8.2018)