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Praxis

Kirche sein mit aktiver Beteiligung

Praxis

Kirche sein mit aktiver Beteiligung

Die Einführung des „Laienkelches“, also der Kommunion auch unter der Gestalt des Weines, wurde im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit zu einer der markantesten Forderung von reformierenden evangelischen Bewegungen. Schon Anfang des 15. Jahrhunderts forderte Jan Hus, der 1415 vom Konzil von Konstanz zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, die Kelchkommunion für alle. Und gut hundert Jahre später, 1520, stellte Martin Luther in seiner Schrift ‘Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche’ fest: «Hier steht das Wort und Beispiel Christi absolut fest, und er sagt es nicht, als ob er’s nur zuliesse, sondern gebietend: ›Trinket alle daraus.‹» Zaghafte Versuche in Richtung Kelchkommunion für die Gemeinde in der katholischen Kirche in dieser Zeit scheiterten, die Ablehnung verstärkte sich und die Kelchkommunion wurde in der lateinischen Kirche verboten.
Die Reformatoren aber waren sich in der Zulassung einig. So könnte also der Eindruck entstehen, die Kelchkommunion sei evangelisch. Und in einem Punkt stimmt er sogar: Die Kelchkommunion, der Empfang des Blutes Christi durch die ganze Gemeinde, ist ‚evangelisch‘, weil sie dem Evangelium entspricht. Aufgrund der biblischen Zeugnisse vom letzten Abendmahl (vgl. Mk 14,23, Mt 26,27, 1 Kor 23ff) kann eigentlich kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass es der Wille Jesu war, dass alle zu seinem Gedächtnis nicht nur vom Brot essen, sondern auch aus dem Kelch trinken. Oder wie Luther es sagte: „Hier steht das Wort und Beispiel Jesu absolut fest“.
Die Kelchkommunion darf somit kein konfessioneller Streitpunkt mehr sein. Sie entspricht dem Willen Jesu. Sie kann also gut und gerne ‚evangelisch‘ sein, sie sollte aber genauso ‚katholisch‘ sein, nämlich allumfassend und damit in einem gewissen Sinn selbstverständlich. Und vergessen wir nicht, dass sie immer, ohne Unterbruch, orthodox war: Zunächst im konfessionellen Sinn, denn die orthodoxen Kirchen verboten die Kelchkommunion nie. Aber dann auch im Sinne von ‚Orthodoxie‘ als ‚richtiger Lehre‘. Man kann also gut und gerne sagen: Kelchkommunion ist evangelisch, katholisch und orthodox.
Und übrigens: Die Treue zu Wort und Beispiel Jesu spricht auch für ein Trinken aus dem Kelch und gegen ein Eintauchen...

Tatsächlich ist es so, dass für kurze Zeit, nämlich für ca. 550 Jahre, abgesehen von einigen kleinen Ausnahmen, die Kelchkommunion für Laien verboten war (seit den Konzilien von Konstanz und Trient). Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begann dann aber wieder eine langsame Bewegung der Zulassung. In der nachkonziliaren Liturgiereform und in der Allgemeinen Einführung in das Römische Messbuch wird schliesslich den Bischofskonferenzen und den Bischöfen die Verantwortung übertragen, die Fälle festzulegen, in denen die Kommunion unter beiden Gestalten ausgeteilt werden kann. Die Schweizer Bischofskonferenz tat dies schon 1971 und erlaubte die Kelchkommunion u.a. an grossen Tagen des Kirchenjahres, in Wochentagsmessen für Gläubige, die entsprechend vorbereitet sind und in Sonntagsmessen für alle Mitfeiernden. Wichtig ist im letzteren Fall, dass es genügend Spender im Verhältnis zur Zahl der Teilnehmenden gibt (in Deutschland und Österreich gibt es ähnliche Regelungen). Man könnte also sagen, dass die Kelchkommunion in der Schweiz nur dann nicht erlaubt ist, wenn es zu viele Mitfeiernde gibt. Das aber ist in der aktuellen Situation der Schweizer Kirche nicht das vorherrschende Problem...

Natürlich kann Christus nicht in Fleisch und Blut aufgeteilt werden. Und so ist es uralte theologische Überzeugung, dass sowohl im konsekrierten Brot als auch im konsekrierten Wein Christus ganz gegenwärtig ist. Wer also „nur“ den Leib Christi empfängt, empfängt damit den ganzen unteilbaren Christus. Insofern stimmt es, dass es nicht im strengen Sinn notwendig ist, die Kommunion unter beiden Gestalten zu empfangen.
Gleichzeitig betont aber die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch: „Ihre volle Zeichenhaftigkeit gewinnt die Kommunion, wenn sie unter beiden Gestalten gereicht wird. In dieser Form wird das Zeichen des eucharistischen Mahles auf vollkommenere Art zum Ausdruck gebracht. Es wird auch deutlich, dass der neue und ewige Bund im Blut des Herrn geschlossen wurde. Ausserdem wird der Zusammenhang zwischen dem eucharistischen und dem endzeitlichen Mahl im Reich des Vaters besser erkennbar.“ (AEM 240)
Es geht also nicht in erster Linie um eine theologische Notwendigkeit (obgleich es ja durchaus notwendig ist, dass wenigstens einer, nämlich der Priester, in der Messe auch den Kelch empfängt), sondern um die volle Zeichenhaftigkeit und eine vollkommenere Art des Ausdrucks des Zeichens. In der Eucharistie werden aus dem Brot Leib Christi und aus dem Wein sein Blut. Wie besser könnten wir ausdrücken, dass wir Anteil haben wollen an diesem Leib und an diesem Blut als wenn wir ihn essen und es trinken. Indem wir Anteil erhalten an Christi Leib und Blut, werden wir im Heiligen Geist auch untereinander eins. Welch schönes Zeichen für diese Einheit auch untereinander in Leib und Blut Christi ist das Essen vom einen Brot und das Trinken aus dem einen Kelch (vgl. 1 Kor 10,14)! Auch betont die zitierte Einführung in das Messbuch den Kelch als Zeichen des neuen Bundes im Blut Christi, ein Zeichen, das so im Brot nicht enthalten ist. Und schliesslich wird dort darauf hingewiesen, dass beim Trinken aus dem Kelch auch an das Trinken gedacht wird im Reich des Vaters an dem Tag, an dem Christus von neuem mit uns davon trinken wird (vgl. Mt 26,29). Dies alles kann hier nur angedeutet werden, eine Ausfaltung davon ist nicht zuletzt eine Kernaufgabe der Eucharistiekatechese und der Predigt. Überhaupt ist es bei der Einführung der Kelchkommunion wichtig, dass die Mitfeiernden auch gut eingeführt werden in ihre Bedeutung und auch in die entsprechende Praxis. An dieser Stelle soll nur betont werden, dass auf das Zeichen des Trinkens aus dem Kelch nicht ohne Not verzichtet werden soll, auch wenn es nicht im strengen Sinn notwendig ist.

Nicht jeder trinkt gerne aus demselben Gefäss wie seine Mitmenschen. Und tatsächlich ist es so, dass sich bestimmte Krankheiten durch Trinken aus einem gemeinsamen Gefäss verbreiten können. Allerdings verbreiten sich die meisten Infektionskrankheiten nicht in erster Linie von Mund zu Mund, sondern eher von Hand zum Mund oder durch Niesen. Und so ist es u.U. ansteckender, in einem vollbesetzten Tram zu fahren oder die Türklinke am Eingang der Post anzufassen als aus demselben Kelch zu trinken. Aber natürlich kann auch das Trinken aus einem gemeinsamen Kelch ansteckend sein. Um eventuelle Infektionen möglichst auszuschliessen muss der Kelchrand nach jedem Kommunizierenden sorgfältig und in Ruhe mit einem sauberen Kelchtuch abgetrocknet werden. Ausserdem sollte der Kelch nach jedem Kommunikanten ein wenig gedreht werden, damit der oder die Nächste an einer anderen Stelle trinkt. Schliesslich ist es gut, wenn die Mitfeiernden von Zeit zu Zeit darauf hingewiesen werden, dass sie bei ansteckenden Erkrankungen auf die Kelchkommunion verzichten mögen.
Und zu guter Letzt muss kaum betont werden, dass niemand zur Kelchkommunion verpflichtet ist. Wer grosse Mühe mit dieser Art des Kommunionempfangs hat, kann auch dort auf die Kelchkommunion verzichten, wo sie in der Gemeinde selbstverständlich geworden ist.

Das Schreiben der Schweizer Bischöfe zur Kelchkommunion aus dem Jahr 1971 betont, dass die Anzahl der Spender der Eucharistie in einem rechten Verhältnis zur Zahl der Mitfeiernden stehen solle. In kleinen gottesdienstlichen Versammlungen genügt es also, wenn neben dem Spender der Brotkommunion noch eine Kommunionhelferin oder ein Kommunionhelfer den Kelch reicht. Sind es mehr Mitfeiernde, dann braucht es vielleicht vier oder sechs Kelche – und eben entsprechend viele, gut ausgebildete Kommunionhelferinnen und Kommunionhelfer. Schon allein genügend Männer und Frauen für diesen Dienst zu finden, kann eine Herausforderung sein. Es ist aber auch eine Chance! Denn es können sich so viele in besonderen Diensten aktiv am Gottesdienst beteiligen, und zwar nicht, weil man für sie eine Beschäftigung gesucht hat, sondern weil sie wirklich gebraucht werden. Und sie machen, wie alle liturgischen Laiendienste, sichtbar, dass die ganze Gemeinde Trägerin der Liturgie ist, und nicht nur der Priester. Eine zweite Herausforderung ist die Schulung dieser Männer und Frauen. Denn diese müssen gut ausgebildet sein. Sie müssen sicher mit der Handhabung eines gefüllten Kelch und eines Kelchtuches sein (mit Abwischen des Kelchrandes und Drehen des Kelches). Eine dritte Herausforderung ist die Arbeit mit der Gottesdienstgemeinde, um sie zu einem besseren Verständnis der eucharistischen Zeichen zu führen und schliesslich auch zu einem vertieften Verständnis des ganzen christlichen Lebens aus der Eucharistie heraus.
Wenn die Einführung der regelmässigen Kelchkommunion gut und gründlich gemacht wird, bedeutet sie also durchaus einen gewissen Aufwand. Aber dieser steht in keinem Verhältnis zum „Gewinn“ für die Gemeinde durch deren Einführung. In vielen Bereichen des Gemeindelebens werden Herausforderungen dank des grossen Engagements und der kreativen Phantasie der Beteiligten gut gemeistert. Das funktioniert sicher auch bei der Einführung der Kelchkommunion...

Ein wichtiger Grund für das Verschwinden der Kelchkommunion gegen Ende des Hochmittelalters war eine steigende Ehrfurcht vor den eucharistischen Gaben, die schliesslich zu einem geradezu ängstlichen Umgang mit ihnen führte. Durch die Mundkommunion war das eucharistische Brot einigermassen „sicher“ zu spenden. Beim Kelch aber bestand immer die Gefahr des Verschüttens. Im Laufe der Zeit verzichtete man also lieber darauf, den Gläubigen auch den Kelch zu reichen.
Auch heute besteht gerade beim Spenden des Blutes Christi die Gefahr, dass etwas davon auf den Boden tropft oder verschüttet wird. Durch sorgsames Hantieren mit Kelch und Kelchtuch kann diese Gefahr aber minimiert werden. Nur beim Eintauchen der Hostie in den Kelch durch den Kommunikanten selbst kann es passieren, dass auf dem Weg zum Mund sich ein Tropfen von der Hostie löst. Auch wenn hier ein Kelchtuch unter der Hostie den Tropfen auffangen kann, ist u.a. aus diesem Grund diese Art des Kommunionempfangs nicht erlaubt. Ein schwerwiegenderes Argument gegen diese Art der Kelchkommunion ist allerdings, wie schon gesagt, der Auftrag Christi, aus dem Kelch zu trinken.
Dieser Auftrag Christi ist auch das wichtigste Argument gegen den Einwand, Kelchkommunion könne zum Verschütten des konsekrierten Weines führen, sei deshalb zu gefährlich und zu unterlassen. Christus selbst hat seinen Aposteln den Auftrag erteilt, vom eucharistischen Brot zu essen und aus dem Kelch zu trinken im Gedächtnis an ihn. Und diese heiligen Zeichen, die Christus selbst gewählt hat, sind fragil: Brot krümelt und Wein ist flüssig und kann verschüttet werden. Natürlich muss mit dem Leib und dem Blut Christi sorgsam und vorsichtig umgegangen werden. Aber wenn dies gewährleistet ist, dann gilt auch: Die Treue zu diesem Wort des Herrn muss wichtiger sein als die Angst vor einem „Unfall“ mit Leib und Blut Christi.

Das ist zugegebenermassen ein verlockendes Argument, gerade für den historisch interessierten Liturgiker. Denn was immer schon war, uralte Tradition, hat doch sicher einen Sinn. Und ob das Neue genauso gut oder gar besser ist, wäre erst einmal zu beweisen. Bei genauerer Betrachtung ist allerdings dieses Argument eindeutig ein Argument für die Kommunion unter den Gestalten von Brot und Wein statt dagegen. Denn die ersten Christinnen und Christen trafen sich nicht nur zum Brechen des Brotes (Apg 2,42.46), sondern auch zum Teilen des Kelches, und sie taten dies weit über das erste Jahrtausend hinweg. Insofern ist eine Kommunionspendung unter den Gestalten von Brot und Wein die Rückkehr zur alten Praxis, die einfach für 700 Jahre unterbrochen war. Aber was sind schon 700 Jahre angesichts von 2000 Jahre Kirchen- und Liturgiegeschichte...?!

Wir alle kennen dieses Argument in vielen Bereichen, in denen sich etwas ändern soll oder auch nicht. Aber wenn wir ehrlich sind, dann ist es eigentlich kein Argument für oder gegen eine Änderung, sondern lediglich eine Einladung, sich die Konsequenzen einer Änderung vor Augen zu führen. Und die wären eigentlich aus vielen Gründen, die unter den übrigen Punkten genannt werden, sehr positiv. Schliesslich würde die Art und Weise des Kommunionempfangs selbstverständlicher die Form erhalten, die ihr ursprünglich einmal zugedacht war. Theologische und biblisch fundierte Gründe würden nicht mehr von scheinbar traditionellen oder ebenso scheinbar praktischen Gründen überboten werden. Die Einführung der regelmässigen Kelchkommunion könnte Anlass für eine Gemeinde sein, wieder neu über Sinn und Bedeutung der Eucharistie im ihrem Leben nachzudenken. Es gibt wenig stichhaltige Argumente gegen die Kelchkommunion. Deshalb sollte man es einfach einmal ausprobieren. Die Risiken sind gering, die Chancen gross!