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Musik

Kirche sein in symphonischer Gemeinschaft

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Kirche sein in symphonischer Gemeinschaft

Auferstehung FensterVictimae paschali laudes/Ostersequenz

Osterjubel als poetische Theologie

Die Liturgie ist reich. Das poetische Wort gehört dazu. Im Gesang vor dem Halleluja des Ostersonntags ist das eindrucksvoll gesteigert - schade nur, dass er so wenigen vertraut ist.

Sequenz ist Dichtung. Beim genaueren Hinsehen erschliesst sich die Komposition der Ostersequenz als Hinführung zum Osterevangelium (Text siehe unten in der Randspalte). Auf den Aufruf zum Lob (1.) folgt die Begründung (2./3.). Diese ist wohl bibeltheologisch ausgesagt, aber eben doch theologisch. Und als wenn es der Aussage im Augenblick der Behauptung klar würde, dass sie spekulative Theologie bleibt, evoziert sie das Bild des Zweikampfes von Tod und Leben. Das tut ganze Fässer an suggestiven Bildern auf; jede Seite der Bibel variiert dies Thema. Auf den poetischen Punkt gebracht, konfrontiert das Kerygma der dritten Strophe die Mitfeiernden mit diesem Lebenden: "der Fürst des Lebens – gestorben – herrscht jetzt lebend!" – Präsens.

An dieser Stelle nun (4./5.) befragen wir die Zeugin. Hier geschieht Verschränkung der Zeit. Das "Dies ist der Tag" (Kehrvers des Antwortpsalms am Ostersonntag) ist ernst genommen. Die Feier der Mysterien kennt keinen Chronos, im Feiern ist synchrone und diachrone "katholische" Gemeinschaft durch Christus. Maria kann und will uns also direkt Auskunft geben. Der Duktus der Sequenz hat uns inzwischen dahin gebracht, selber zu Zeugen der Auferstehung zu werden. Vom anfänglichen Aufgefordert-werden hat uns die Sequenz – "geerdet" durch die uns direkt ansprechende Apostelin der Apostel – zum Bewusstsein der Zeitgenossenschaft mit dem Lebenden gebracht, sodass wir am Schluss in das Wir der Bekennenden hineingenommen sind. Das sich sofort anschliessende Halleluja erscheint nun evident. Der Boden ist bereitet zur fruchtbaren Aufnahme der an uns gerichteten Osterbotschaft.

Zweikampf von Tod und Leben

Mors et vita duello - Tod und Leben kämpften einen wunderbaren Kampf. So deutet die dritte Strophe der Ostersequenz jene Ereignisse zwischen dem Tod Jesu und seiner Auferstehung, für die es keine Zeugen gibt. Wunderbarer Zweikampf von Leben und Tod - ist das poetische Formel, gar mythische Rede, die Nicht-Wissen zudeckt? Oder ist das wundersame Duell von Tod und Leben Verdichtung einzigartigen Geschehens - nur in sprachlicher Verdichtung auszusagen?

Die Fragen lassen sich nur entscheiden, wenn die Hauptakteure dieses Kampfes, Leben und Tod, deutlich vor Augen stehen. Vita, Leben, das ist Christus: dux vitae, Fürst oder Anführer des Lebens. Im Johannesevangelium spricht Christus: "Ich bin die Auferstehung und das Leben" (Johannes 11,25) und nochmals "Ich bin der Weg, und die Wahrheit und das Leben" (Johannes 14,6). Die Ich bin-Worte des Johannesevangeliums knüpfen an die Selbstvorstellung Gottes im Alten Testament an. Zu Mose sagte er: "Ich bin der Ich-bin da" (Exodus 3,14), d.h. er ist und bleibt bei seinem Volk in allen Widrigkeiten der Wüstenwanderung und darüber hinaus. Leben und Segen liegen in seiner Hand. Leben in Fülle zu bringen ist Jesus gekommen. Leben in Fülle kann nur bringen, wer selber im Besitz dieser Lebensfülle ist, wer das Leben gegen alle lebenverneinenden Kräfte verteidigen kann. Leben, soviel dürfte aus den biblischen Bezügen deutlich werden, ist mehr als Biologie, als Dasein aus Haut und Knochen, Fleisch und Blut. Leben ist vielmehr Nähe, Geborgenheit, Wohlsein, Frieden, umfassende Bejahung, eine durch nichts eingeschränkte Bejahung, wie sie wohl nur Gott gegenüber jedem einzelnen Menschen realisieren kann. Diese Bejahungskraft gegenüber dem Volk Israel und schliesslich gegenüber jedem Menschen spricht aus den Ich-bin-Worten des Johannesevangeliums: Ich bin Leben.

Tod des Todes

Wenn also Leben von Gott her mehr ist als Biologie, was passiert dann, wenn der Anführer des Lebens tot ist? Ist Gottes Bejahungskraft an Jesu biologische Existenz gebunden? Dann wäre mit seinem Tod alles zu Ende. Vielleicht würden wir in den Geschichtsbüchern eine Notiz finden von einem Wanderprediger, der einst in Galiläa große Worte gemacht hat, schliesslich aber in Jerusalem gekreuzigt wurde. Aber wahrscheinlich hätte sich niemand die Mühe gemacht, diese Dinge auch nur aufzuschreiben. Doch Gottes Mitgehen mit den Menschen ist mehr als Biologie. Wenn das stimmt, dann eröffnet sich mit dem Tod Jesu ein großes Paradox: der Anführer des Lebens ist tot, Exitus im medizinischen Sinn, aber Gottes Bejahungskraft und Lebensfülle bestehen weiter. Mors et vita duello - wundersames Duell von Tod und Leben.

Der zweite Hauptakteur, der Tod, mit dem das Leben kämpft, wer ist er? Ist er überhaupt jemand? Oder ist er das grosse Nein, der Widerpart zum Ja Gottes? Der Schatten, der alles Licht erstickt und den letzten Keim des Lebens tötet? Es gibt keine Zeugen dieser Nacht. Am Ende der Nacht jedoch, da war der Tod tödlich getroffen, dux vitae ... regnat vivus - der Fürst des Lebens herrscht nun lebend.

Besuch beim Grab am Ostermorgen

Die Dichtung verbindet thematisch das Lob des Paschalammes mit der Visitatio sepulchri. Eine einleitende Strophe ruft die Christen auf zum Osterlob. Ein erstes Strophenpaar (2./3.) verdichtet das Ostergeschehen. Die Begrifflichkeit ist vorerst biblischer Theologie entnommen: Lamm, Schaf, Schuld, versöhnen, Sünder, Vater. Die poetische dritte Strophe spitzt das dramatische Bild des Zweikampfes zwischen Tod und Leben auf ein Paradoxon zu: der starb, herrscht nun – lebend. Das zweite Strophenpaar (4./5.) ist auf einer völlig anderen Ebene situiert, was auch durch die tiefer liegende Melodieführung unmittelbar deutlich wird. Wir, die Mitfeiernden, befragen hierin (4.a) die Zeugin der Auferstehung, Maria von Magdala, nach ihrer Ostererfahrung. Diese antwortet (4.b, 5.) mit einer vorwegnehmenden Zusammenfassung des Osterevangeliums, das ja gleich darauf verkündet werden wird.

Vom abschliessenden Strophenpaar (6./7.) ist der erste Teil weggefallen. Der deutlich antijüdische Akzent dieses Verspaares hatte bereits 1570 (!) zu dessen Tilgung geführt: Credendum est magis soli Mariae veraci quam Judaeorum turbae fallaci. Die entstandene Lücke brach somit die ursprüngliche Text- und Melodiestruktur auf. Diese muss nunmehr so verstanden werden: a-b-b-c-c-d. Eine Eingangs- und eine Schlussstrophe rahmen zwei inhaltlich stark profilierte Strophenpaare ein, wobei der Schluss (d) sich melodisch nahe an 4./5. (b-b) anlehnt. Im deutschen Text hingegen hat man mit einer Neufassung der 6. Strophe den Versuch unternommen, die Struktur beizubehalten: "Lasst uns glauben, was Maria den Jüngern verkündet. Sie sah den Herren, den Auferstandenen." Mit den Juden fällt auch der Komparativ weg. Aus dem Material der 4. Strophe wird Maria nochmals als die Zeugin der Auferstehung herausgestellt. Diese Textfassung ist mit der dafür angepassten ursprünglichen Melodie des gregorianischen Choral zum Singen eingerichtet worden (Gotteslob 216). Die abschliessende Strophe formuliert das Osterbekenntnis in deutlicher Abhängigkeit zum Griechischen Ostergruss "Christos aneste!"

Peter Spichtig op/Gunda Brüske

Stichwort

  • Ostersequenz (liturgische Dichtung), Wipo von Burgund zugeschrieben, der kurz vor 1000 bei Solothurn geboren wurde und um 1050 als Eremit starb.
  • Seit dem 11. Jh. weit verbreitet, ursprünglich meist in der Ostervesper, in der Messe der Osteroktav und an Sonntagen der Osterzeit gesungen.
  • Bestandteil vieler mittelalterlicher Osterspiele.
  • Vertonung als gregorianischer Choral.
  • Seit dem Messbuch von 1570 bis heute verbindlicher Bestandteil der Messe am Ostersonntag (nach der 2. Lesung und vor dem Halleluja); in der Messe der Osteroktav fakultativ.
  • KG 433 bietet den lateinischen Text mit der überlieferten Melodie; dt. Übersetzung im Lektionar (auch im Schott).

Praxis-Tipp

„Christ ist erstanden" (KG 436), dem ältesten erhaltenen deutschen Kirchenlied überhaupt, ist die Abhängigkeit von der Ostersequenz unmittelbar anzuhören (vgl. auch KG 439!). Eine Kombination beider Gesänge drängt sich förmlich auf und kann die Sequenz zur fruchtbringenden, gemeinschaftlich vollzogenen Vorbereitung auf das Osterevangelium werden lassen. Indem nach der 3. und nach der 5. Strophe und am Schluss je eine Strophe von „Christ ist erstanden" eingefügt wird, endet die nun wechselgesangliche Sequenz mit der Halleluja-Strophe der ganzen Gemeinde.

Kommentar von Walter Wiesli

Musik

Die Messgesangsgattung Sequenz ist das Ergebnis einer langen Entwicklung. Am Anfang steht der Jubilus, der improvisierte, später notierte ausladende Melodieschluss über dem letzten a des Halleluja-Verses. Diese "Fortsetzung" (sequentia) wird in spätkarolingischer Zeit mit Texten unterlegt, die sich zunehmend vom Halleluja emanzipieren (wichtigstes Zentrum: St. Gallen). Anfänglich für die Festtage gedichtet, verbreiten sie sich im Spätmittelalter immer mehr und gehören fortan zu praktisch jeder Messe. Die Popularität dieser Gattung ist denn auch Wurzelgrund der deutschen Kirchenliedtradition. Die Fülle der tausenden Sequenzen wird durch die Tridentinische Liturgiereform jäh auf die verpflichtenden an Ostern und Pfingsten und die fakultativen an Fronleichnam und der Totenmesse hinuntergestutzt. Das Stabat Mater kommt 1727 als fünfte noch hinzu. Im Messbuch von 1975 wurde die Sequenz nunmehr vor das Halleluja gesetzt.

Hörbeispiel


Text

Deutsche Übersetzung der ursprünglichen Dichtung

1. Dem Osterlamm sollen Lobgesänge weihen die Christen.

2. Das Lamm hat die Schafe erlöst.
Christus, ohne Schuld, hat die Sünder mit dem Vater versöhnt.

3. Tod und Leben rangen in wundersamem Zweikampf.
Der Fürst des Lebens starb, als Lebender herrscht er jetzt.

4. Künd uns Maria, was du unterwegs gesehen hast.
"Des auferstandenen Christus Grab hab ich gesehen und die Herrlichkeit des Auferstandenen

5. und Engel als Zeugen, das Schweißtuch und die Leinentücher. Auferstanden ist Christus, meine Hoffnung. Vorangehen wird er den Seinen nach Galiläa."

6. Glauben schenken muss man mehr Maria, der allein Wahrhaften, mehr als der Juden falscher Schar.

7. Wir wissen, Christus ist wahrhaft auferstanden von den Toten. Du siegreicher König, erbarme dich unser.