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„Angelangt an der Schwelle des Abends"

... wem tut es da nicht gut innezuhalten, Gemeinschaft zu pflegen, ins Gespräch zu kommen, zu hören, zu erzählen, zu klagen und zu danken. – Doch was hat das mit Gott zu tun?

Abend und Sonnenuntergang haben für den Menschen besondere Bedeutung. Der Blick geht zurück auf das Getane, aber auch auf das Unerledigte: Aufhören zu arbeiten, zurückschauen auf das Geleistete, aber auch loslassen, das stehen lassen, was noch unerledigt ist. Man hält kurz inne, kommt zur Ruhe, will wissen, wie es den Freunden ergangen ist, was sie erlebt haben, will selbst erzählen, was man erlebt hat. Zugleich wandern die Gedanken schon zum neuen Tag, man plant und träumt. So beginnt im Judentum der neue Tag schon mit dem Sonnenuntergang am Vorabend. Deshalb haben auch die Sonntage und Hochfeste in der katholischen Kirche eine erste Vesper (Vorabend) und eine zweite Vesper am Abend des eigentlichen Tages. Am Abend wird der Mensch mit sich selbst konfrontiert, seinen Hoffnungen und Wünschen, seinen Taten und dem Ungetanen. Doch er erfährt zugleich, dass ihm der Tag geschenkt wurde von jemand anderem, der ihn trägt und hält.

Begegnung mit Gott am Abend

„Angelangt an der Schwelle des Abends" (Katholisches Gesangbuch 684, Gotteslob 701) versichern sich Christinnen und Christen deshalb der Gegenwart des lebendigen und erbarmenden Gottes. Sie suchen seine Nähe, hören auf sein Wort, bringen zugleich das Erlebte vor ihn und bitten und dankt dafür.

Neben diesem persönlichen Blick auf den Tag prägen den Abend im Christentum verschiedene heilsgeschichtliche Motive. Gott selbst blickt bei seinem Schöpfungshandeln an jedem Abend zurück auf sein Werk: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut. Es wurde Abend und es wurde Morgen..." (Genesis 1,31). Auch Gott schafft nicht alles an einem Tag. Doch was er schafft, ist gut. Es kann trostvoll und erleichternd sein, sich dies vor Augen zu halten.

Ebenso ist am Abend die Errettung aus Ägypten (vgl. Exodus 14,1-31) und die Erlösungstat Jesu Christi am Kreuz präsent: Gott ist da, auch wenn die dunkle Nacht und mit ihr Bedrängnis und Not heraufziehen. Er rettet selbst aus der endlosen Nacht des Todes. Dieses Gedächtnis macht das Heilshandeln Gottes in der versammelten Gemeinde gegenwärtig und öffnet zugleich den hoffnungsvollen Blick nach vorne. Gott wird auch in Zukunft da sein und die Welt vollenden. Dafür lobt und preist ihn die ganze Schöpfung und die Kirche stimmt am Abend ein in diesen immerwährenden Lobgesang.

Lobpreis des Lichtes am Abend

In verschiedenen antiken Kulten war es Brauch beim Anzünden der Lampen das Licht zu begrüßen, zugleich zu danken für den Tag und das Licht, das den Abend und die Nacht vertreibt. Im Christentum erhält dieses Licht noch eine weitere Bedeutung, denn für die Kirche ist Jesus Christus das wahre Licht, das niemals untergeht und die Nacht erhellt. In einem Lichtgebet aus dem 3. Jahrhundert betet der Bischof beim Entzünden der Kerze: „Wir sagen dir Dank, Herr, durch deinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn, durch den du uns erleuchtet hast in der Offenbarung des unvergänglichen Lichtes. Wir haben den Tageslauf vollendet und sind zum Anfang der Nacht gelangt. Wir haben uns gesättigt am Licht des Tages, das du zu unserer Stärkung geschaffen hast. Da wir nun durch deine Güte des Abendlichtes nicht entbehren, loben und verherrlichen wir dich durch deinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn, durch den dir Herrlichkeit, Macht und Ehre ist mit dem Heiligen Geist, jetzt und immer und in Ewigkeit." (Traditio Apostolica, 25).

Was die Kirche sich jeden Abend vor Augen hält, wird besonders deutlich in der Osternacht, wenn das Feuer entzündet wird und die Osterkerze mit dem Ruf „Licht Christi – Dank sei Gott" in die dunkle Kirche getragen wird.

Darüber hinaus ist der Gottesdienst am Abend als Stunde des Opfers in verschiedener Hinsicht geprägt. Er erinnert an das Opfer des Lammes beim Auszug aus Ägypten (vgl. Exodus 12,1-13,16) ebenso wie an das Abendopfer im Tempel in Jerusalem (vgl. Psalm 141,2) und an das einmalige und immerwährende Opfer Christi am Kreuz.

Abendgebet im Wechsel der Zeiten

In der Tradition des Judentums und in Weiterführung des abendlichen Betens Jesu selbst versammeln sich von Anfang an Christen am Abend im gemeinschaftlichen Gottesdienst zum Lobpreis Gottes, zum Hören auf sein Wort und zum Gebet. Dabei werden Psalmen gesungen und biblische Lesungen vorgetragen, an die sich eine Predigt anschließen kann. Darüber hinaus ist der Gottesdienst geprägt durch das gemeinsame Gebet und den Segen. In den Bischofskirchen ist weiterhin ein gemeinsamer Lichtritus zur Eröffnung der Feier belegt. Mönche pflegen dagegen ein fortlaufendes Meditieren der einzelnen Psalmen. Darin integrieren sie einen gemeinsamen Gottesdienst am Abend.

Spätestens seit der Regel des hl. Benedikt, ab dem 6. Jahrhundert, prägt diese Gebetsweise der Mönche den Charakter der Vesper im lateinischen Westen. Ab dem Mittelalter wird dieses Stundengebet zunehmend zum Standesgebet des Klerus, während sich die Gläubigen mit einfacheren Formen wie Rosenkranz, Engel des Herrn, Andachten und Kreuzweg eigene Formen des täglichen Gottesdienstes schaffen.

Erst durch die Liturgische Bewegung des 20. Jahrhunderts wird die Tagzeitenliturgie wieder als täglicher Gemeindegottesdienst in der katholischen Kirche entdeckt. Laudes und Vesper haben dabei für das Zweite Vatikanische Konzil als Angelpunkte des Tages eine herausgehobene Stellung. Ihre gemeinsame Feier soll von den Gläubigen gepflegt werden.

Gestaltungsmöglichkeiten

Liturgie ist sinnenfällige Feier des Glaubens, Begegnung mit der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes in dieser Welt. Dabei gibt es zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten für die Vesper.

• Vortragsweise: Psalmen, Hymnen und Magnificat sind Gesänge, die nach einer musikalischen Ausführung verlangen. Dabei lässt sich zwischen zwei Gemeindeseiten oder zwischen Kantor/Schola und Gemeinde wechseln.

• Liturgische Dienste: Neben dem Kantor/der Schola sollten weitere liturgische Dienste mitwirken: Der Vorsteher eröffnet die Feier, leitet die Gebete ein und spricht die Oration und den Segen. Ein Lektor übernimmt Lesung und Fürbitten.

• Körperhaltungen: Die Grundhaltung des Gebetes ist das Stehen, während die Haltung des Sitzens beim Hören der Lesung angemessen ist. Psalmen und Cantica (das sind weitere biblische Gesänge) sind nicht zuerst Gebet, sondern meditative Texte, die den Einzelnen zum persönlichen Gebet anregen wollen: hier bietet sich sowohl die Haltung des Sitzens als auch des Stehens an.

• Besondere Gestaltungselemente:

- Weihrauch als Zeichen der Verehrung und des aufsteigenden Gebetes kann beim Magnificat und den Fürbitten Verwendung finden.

- Ein Lichtritus zu Beginn der Feier (Luzernar) lenkt durch das Entzünden einer Kerze mit einem besonderen Lichtgebet den Blick auf Jesus Christus als das wahre Licht.

- Ein Taufgedächtnis kann zu Beginn der Feier die Taufe in Erinnerung rufen.

• Des Weiteren kann der liturgische Raum durch seine Gestaltung aber auch durch Ortswechsel und Prozessionen in der Feier Bedeutung gewinnen.

Vesper – ein Gottesdienst für die Gemeinde?

Die Vielfalt der geschichtlichen Traditionen lässt neben der klassischen, monastisch orientierten Vesper der Tagzeitenliturgie auch neuere, freiere Gestaltungsformen wie Spätschichten, Jugendvespern oder Taizégebet attraktiv werden. Auf der Suche nach einer spirituellen Gestaltung des Tages einerseits und einer liturgischen Vielfalt in den Gemeinden andererseits erwacht in der Gegenwart ein neues Interesse an der Vesper. Sie ist tägliches Gebet der Gemeinde – stellvertretend vollzogen von einigen Gläubigen. Zugleich ist sie eine Gebetseinladung an alle, sich vom Gebetsstrom der Kirche durch die Zeiten tragen zu lassen.

Dabei ist die Vesper nahezu durchgehend biblisches Gebet: Ihre Texte entstammen in der Regel der Heiligen Schrift oder sind zumindest biblisch geprägt. Nicht zuletzt deshalb liegt für den ökumenischen Dialog in einem nichtsakramentalen Gottesdienst wie der Vesper eine große Chance, über trennende Konfessionsgrenzen hinweg schon jetzt lebendige Gebetsgemeinschaft im Alltag zu sein – Kirche, die sich aufgrund der Taufberufung aller Gläubigen zum Gottesdienst im Alltag versammelt, um so am priesterlichen Dienst Jesu Christi teilzuhaben.

Nobert Weigl, Liturgiewissenschafter München

Stichwort

  • Täglicher Abendgottesdienst der Kirche.
  • Jeder Getaufte ist zum priesterlichen Dienst Christi berufen. Dieser Dienst verwirklicht sich durch das Gebet für die Welt.
  • Das Zweite Vatikanische Konzil wünscht die gemeinschaftliche Feier der Vesper in den Gemeinden vor allem an Sonntagen und höheren Festen.

Praxis-Tipp

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St. Gallen: Dienstag 17:30 Uhr

"Im weltberühmten Chorgestühl der St. Galler Kathedrale ... versammeln sich seit der Fastenzeit des Jahres 2000 jeden Dienstagabend ... etwa 50-100 Christinnen und Christen zur gemeinsamen Feier des kirchlichen Abendgebetes. ... Die Domvesper ist ein 'Tor zum Feierabend'. ...

Vielleicht liegt ein Geheimnis für die Nachhaltigkeit dieser Domvesper in der Einfachheit der Gestaltung und deren Ritualisierung. In ruhiger Atmosphäre - welche zugegebenermassen durch das historische Chorgestühl und den stimmungsvollen Raum der Kathedrale wesentlich gefordert wird - vollzieht sich das Gebet ohne spektakuläre und besonders originelle Aktivitäten, sondern lässt in einfach strukturierten Gefässen und mit einem für jedermann nachvollziehbaren Ablauf viel Raum für Stille und persönliches Sammlung. ...

Das KG bietet als liturgisches Rollenbuch knappe Einführungen und ein breites Repertoire für das Stundengebet. Es enthält fünf Laudes-Vorschläge und acht Vespern für die liturgischen Zeiten und eine Komplet. Der Aufbau folgt dem Vorbild der monastischen Tradition, welche für die Gemeindepraxis fruchtbar gemacht wird. ...

Wir haben nie geübt! 'Learning by doing' war unser Motto. Anfänglich haben wir überlegt, ob nicht eine grundsätzliche theoretische Einführung ins Psalmodieren nötig sei. Aus der Zielsetzung, einen priorität emotionalen Zugang zu finden, haben wir uns für die 'Bauchvariante' entschieden - und sahen, dass es gut war! ...

Zum Schluss möchten wir ermutigen, die Tagzeitenliturgie mit der Gemeinde - nicht als Konkurrenz, sondern als sinnvolle Ergänzung zur Messfeier - in die Pfarreipastoral einzubeziehen."

Hans Eberhard, Urs Länzlinger Feller 2004

(Der vollständige Bericht ist nachzulesen in: Tagzeitenliturgie. Ökumenische Erfahrungen und Perspektiven. Hrsg. von Martin Klöckener und Bruno Bürki. Fribourg 2004.)

Geistlicher Impuls

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Allmächt'ger Schöpfer, Herr und Gott,
der aller Dinge Ursprung ist,
du hast die weite Welt erfüllt
mit deiner Gaben Überfluss.

Und da das große Werk vollbracht,
hast du geruht am siebten Tag
und hast geboten, dass auch wir
ausruhn von unsrer Arbeit Last.

Herr, mach uns offen für dein Wort
und wende unsern Geist zu dir;
hol uns in deinen Frieden heim;
gib uns die Freude deines Heils.

Dies schenk uns Vater, voller Macht,
und du, sein Sohn und Ebenbild,
die ihr in Einheit mit dem Geist
die Schöpfung zur Vollendung führt. Amen.

(Hymnus der 1. Vesper am Sonntag der 2. Woche. Kleines Stundenbuch, Jahreskreis, 97)

Facts

„Die Laudes als Morgengebet und die Vesper als Abendgebet, nach der ehrwürdigen Überlieferung der Gesamtkirche die beiden Angelpunkte des täglichen Stundengebetes, sollen als die vornehmsten Gebetsstunden angesehen und als solche gefeiert werden."

Liturgiekonstitution (1963) Nr. 89a

Lesetipp

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Paul Ringseisen: Morgen- und Abendlob mit der Gemeinde. Geistliche Erschließung, Erfahrungen und Modelle. Mit einem Beitrag von Martin Klöckener. Freiburg Br. 2000

Ablauf

Eröffnungsvers
Hymnus
Psalmodie: 2 Psalmen und Canticum aus dem NeuenTestament
Lesung und Responsorium
Magnificat Fürbitten
Vaterunser
Schlussoration
Segen/Entlassung(vgl. auch KG 258-259)

Links

Allgemeine Einführung in das Stundengebet

Tagzeitenliturgie online mitfeiern (Benediktiner von St. Ottilien)

Tägliches Stundengebete für den Einzelnen: TeDeum