gebetswoche logo thumbÖkumene: Gebetswoche für die Einheit der Christen

Der längste Skandal der Kirchengeschichte

Dass die Einheit der Kirche im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zerbrochen ist, ist vielleicht der grösste, auf jeden Fall aber der längste Skandal im ursprünglichen Sinn des Wortes (σκάνδαλον = Falle, Anstoss, Ärgernis) ihrer Geschichte.

Wie will die Kirche ihren wichtigsten Auftrag erfüllen, nämlich die Liebe Gottes zu verkünden, zu feiern und zu leben, wenn sie selbst gespalten und zerstritten ist? Wenn sie sich im Laufe der Geschichte immer wieder mit Worten und manchmal auch mit Waffen bekämpft hat? Wenn Ehepartner verschiedener Konfessionen unsicher sein müssen, ob sie gemeinsam an den Tisch des Herrn treten dürfen? Kein Wunder, dass viele Menschen innerhalb und ausserhalb der Kirchen Anstoss an den zahlreichen Spaltungen nahmen und nehmen.

Eine Hauptaufgabe des Zweiten Vatikanischen Konzils

Neben der oft beachteten Kirchen- und Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils wird manchmal eine weitere Hauptaufgabe vergessen, die das Konzil selbst als solche bezeichnete: „Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen, ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils.“ Mit diesen Worten beginnt das „Dekret über den Ökumenismus“ des Zweiten Vatikanischen Konzils „Unitatis Redintegratio“ (UR). Schon dieser Anfangssatz ist bemerkenswert. Denn das Konzil anerkennt, dass seine Möglichkeiten begrenzt sind. Zunächst einmal spricht daraus die Einsicht, dass die Einheit nicht das Werk nur einer kirchlichen Gemeinschaft sein kann. Die versammelten Bischöfe einer Kirche können nur helfen. Alle Kirchen müssen zusammen an dieser Einheit arbeiten. Dann bekennt das Konzil aber auch, dass neben allem konkreten und praktischen Engagement für die Einheit der Kirche Gott selbst diese Einheit schenken muss. Neben der Hilfe an der Wiederherstellung der Einheit aller Christen durch entsprechende Taten braucht es deshalb auch das Gebet um die Einheit (vgl. auch UR Nr. 8).

Schon Jesus betete um die Einheit

Die Erkenntnis, dass die Einheit unser Gebet braucht, ist allerdings älter als das Zweite Vatikanische Konzil. Jesus selbst bittet im 17. Kapitel des Johannesevangeliums den Vater darum, dass seine Jüngerinnen und Jünger eins sein mögen: „Aber ich bitte nicht nur für diese hier [die um Jesus am Abend vor seinem Tod versammelten Jünger], sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein. Wie du, Vater in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast.“ (Joh 17, 20f). Älter kann ein christliches Gebet nicht sein und grössere Autorität und Wichtigkeit kann es nicht haben, als wenn das Evangelium berichtet, dass Jesus selbst es gesprochen hat. Und so gab es seitdem immer Menschen, die seinem Beispiel folgten und mit ihm um die Einheit beteten.

Viele Väter und Mütter der Gebetswoche für die Einheit

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts intensivierte sich dieses Gebet, zunächst vor allem in evangelischen und anglikanischen Kreisen. So beschloss die "Weltweite Evangelische Allianz" schon bei ihrer Gründungsversammlung 1846 die Durchführung einer jährlichen internationalen Gebetswoche. Die erste Gebetswoche mit dem heutigen Datum (zwischen dem damaligen Fest „Kathedra Petri“ am 18. Januar und dem Fest der „Bekehrung des Hl. Apostels Paulus“ am 25. Januar) fand 1908 statt (initiert durch den Anglikaner Paul Wattson, der ein Jahr später zum Katholizismus konvertierte). Im Zentrum dieser Woche stand die Bitte um die „Rückkehr“ aller Kirchen nach Rom. Diese Gebetsoktav wurde 1916 durch Papst Benedikt XV. auf die gesamte katholische Kirche ausgedehnt. Der französische Priester Paul-Irénée Couturier (1881-1953) setzte sich erfolgreich für eine wesentliche Akzentverschiebung ein. Die Gebetswoche wurde von ihm so gestaltet, dass Christinnen und Christen aller Konfessionen mitbeten konnten. Unter Papst Johannes XXIII. übernahm die katholische Kirche diese Umgestaltung. Dieser Papst war es übrigens auch, der am letzten Tag der Gebetswoche für die Einheit der Christen 1959, am 25. Januar, überraschend das Zweite Vatikanische Konzil ankündigte. Die Idee dazu formulierte Johannes XXIII. in derselben Woche, am 20. Januar, gegenüber Kardinalstaatssekretär Domenico Tardini erstmals. Ob ihm wohl die Gebetswoche zu diesem Schritt ermutigte?

Parallel zu dieser katholischen Entwicklung wurde in den 1920er Jahren auf Initiative der Bewegung für Glaube und Kirchenverfassung eine Gebetswoche für die Einheit organisiert, zunächst in der Zeit um Pfingsten, dann ab 1941 ebenfalls vom 18. bis 25. Januar. Dazu wurde den Kirchen Material für spezielle Gottesdienste zur Verfügung gestellt. Ab 1958 wurden diese Materialien und die von der katholischen Kirche zusammengestellten Texte untereinander abgestimmt. Auf Beschluss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und des Päpstlichen Einheitsrates werden seit 1973 die liturgischen Materialien jeweils von einer ökumenischen Gruppe eines Landes oder einer Gegend erstellt, gemeinsam von ÖRK und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen redigiert und in die ganze Welt verschickt. So ist das Gebet für die Einheit auch ein Gebet in Einheit geworden.

Neben der Gebetswoche für die Einheit der Christen beteiligt sich die Schweizerische Evangelische Allianz (ein Verband von landes- und freikirchlichen evangelischen Gemeinden) an der weltweiten Allianzgebetswoche mit eigenen Veranstaltungen und Materialien. Sie beginnt jeweils am 2. Sonntag im Januar und überschneidet sich somit in manchen Jahren mit der Gebetswoche für die Einheit. Gemäss den Verantwortlichen der Deutschen Evangelischen Allianz konkurrenzieren sich diese beiden Gebetswochen allerdings nicht.

Wie beten in der Gebetswoche?

Die zur Verfügung gestellten Materialien für die Gebetswoche stehen jedes Jahr unter einem speziellen biblischen Motto. Sie bieten u.a. eine Vorlage für einen ökumenischen Gottesdienst und acht kurze Meditationen für jeden Tag der Woche, die sowohl in der Gruppe als auch allein gehalten werden können. Einen Link zu den Materialien dieses Jahres finden Sie in der rechten Spalte.
Eine bemerkenswerte liturgische Ausnahme in der katholischen Kirche betrifft den Sonntag, der in die Gebetswoche fällt. An diesem Sonntag müssen nicht, wie sonst vorgeschrieben, die Gebete und Lesungen vom entsprechenden Sonntag im Jahreskreis genommen werden. Der Priester darf auch eine der drei Votivmessen „Für die Einheit der Christen“ (einen Text daraus finden Sie in der rechten Spalte) und auch entsprechende Lesungen auswählen.
Leider noch kein Gebet in Einheit geworden ist das Eucharistische Hochgebet. Aber die Bitte um die Einheit ist in allen Hochgebeten zentral. So heisst es z.B. im Dritten Hochgebet: „Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem Heiligen Geist, damit wir e i n Leib und e i n Geist werden in Christus.“ Es wäre eine schöne geistliche Übung, in der Zeit um die Gebetswoche für die Einheit der Christen einmal auf diese Bitte um die Einheit der Kirche im Heiligen Geist genauer zu achten und sie innerlich besonders mitzubeten in der Hoffnung, dass alle Christinnen und Christen einmal auch als Eucharistische Tischgemeinschaft geeint sein werden.
Aber auch wenn die Eucharistie ein wichtiger Ort ist, an dem immer für die Einheit der Christinnen und Christen gebetet werden muss, so ist es doch gerade in der Gebetswoche für die Einheit wichtig, dass sich Menschen veschiedenster christlicher Konfessionen in ökumenischen Wortgottesdienste konkret und sichtbar zusammenfinden, um mit Jesus dessen Gebet vor Gott zu bringen: „Alle sollen eins sein!“ (Joh 17,21)

Martin Conrad 

 Stichwort

  • Erste Gebetswoche vom 18.-25. Januar 1908 initiert von Paul Wattson
  • Seit den 1920er Jahren jährliche Gebetswochen auf Initiative der Bewegung für Glaube und Kirchenverfassung
  • Seit 1941 gemeinsames Datum der Gebetswoche vom 18.-25. Januar
  • Seit 1973 gemeinsame Texte und Durchführung der Gebetswoche in Zusammenarbeit des Ökumenischen Rates des Kirchen und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen 

Zitate

"[...] wenn ich den Herrn als Diener, der dient, betrachte, dann gefällt es mir, ihn zu bitten, dass er der Diener der Einheit sei, der uns helfe, gemeinsam voranzuschreiten. Heute haben wir gemeinsam gebetet. Gemeinsam beten, gemeinsam für die Armen und für die Bedürftigen arbeiten; sich gegenseitig lieben, mit der wahren Liebe von Geschwistern. 'Aber, Pater, wir sind doch verschieden, weil unsere Dogmatikbücher eine Sache sagen und eure eine andere'. Ein großes Mitglied von euch hat einmal davon gesprochen, dass es Zeit sei für die versöhnte Verschiedenheit. Bitten wir heute um diese Gnade, die Gnade dieser versöhnten Verschiedenheit im Herrn, also im Knecht Jahwes, jenes Gottes, der zu uns gekommen ist, nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mk 10,42)."

Papst Franziskus in seiner Predigt beim Besuch der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rom am 15. November 2015

Geistlicher Impuls

Gebet aus dem Messbuch:

Herr, unser Gott,höre auf das Gebet deines Volkes.Gib, dass alle Gläubigenin gemeinsamer Busse sich zu dir bekehrenund gemeinsam dein Lob verkünden,damit die Spaltung der Christenheitein Ende nimmtund wir in voller Kirchengemeinschaftdas Reich deines Sohnes erwarten,der in der Einheit des Heiligen Geistesmit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.

(MB II 1044f)

Links

Praxis: Ökumenische Gottesdienste

Materialien der Gebetswoche auf der Website der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz

Ein besonderer Gottesdienst: ökumenisches Taufgedächtnis

Geschichte und Anliegen der Gebetswoche auf der Website der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland

Synopse verschiedener Gesangbücher zur Planung ökumenischer Gottesdienste (Excel)