Einzug in Jerusalem Fresko thumbAdvent

Gott im Kommen

„Gott selbst wird kommen und euch erretten." Das ist die frohe Botschaft des Advents. „Gott selbst" - das allein erfüllt das Mass oder besser: die gottgewollte Masslosigkeit des menschlichen Herzens.

Das Kommen Gottes

Gott kommt - das ist eine Grundbestimmung des Gottes der Bibel. Genauer: Das ist das, wozu er sich in freier Liebe selbst bestimmt hat. Im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, wird Gottes Name in diesem Licht gedeutet, der Name, den er dem Mose in der Wüste (Ex 3,14) geoffenbart hat: „Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung." (Off 1,8 ) „Der ist, der war und der kommt" - so haben auch jüdische Zeitgenossen des Johannes den Gottesnamen ausgelegt und so nachvollzogen, wie Gott selbst sich und seinen Namen in seiner Geschichte mit Israel ausgelegt hat. Der Gott Israels ist der Gott, der ganz und gar verlässlich ist, der treu ist - in seinem Kommen. Von diesem Kommen Gottes redet die Liturgie des Advents. Gewiss: Sie blickt dabei auf das Kommen Gottes in der Menschwerdung des Sohnes, wie sie in seiner Geburt und in der Anbetung durch die Weisen aus dem Morgenland offenbar wird und wie wir sie an Weihnachten und an Epiphanie (Dreikönigsfest) feiern. Und all die schönen, gemüt- und stimmungshaften Elemente lagern sich völlig legitim hier an. Aber darin erschöpft sich der Advent Gottes, von dem die Liturgie redet, nicht. Hier soll es also einmal um diesen wirklichen Kern gehen, der das Gemüt, das so wichtig ist im Advent, vor dem Abgleiten in Sentimentalität schützt.
Denn Gott ist im Kommen bis er alle Wirklichkeit endgültig erfüllt, bis alle Wirklichkeit in Unmittelbarkeit zu ihm steht, bis sie vollkommen transparent geworden ist auf ihn hin. Advent ist so lange, bis Gott alles in allem ist. Dann ist seine Ankunft - denn Advent bedeutet ja Ankunft, adventus domini: Ankunft des Herrn - voll und ganz realisiert. Denn sein Kommen hat ja ein Ziel: Gott will da sein mitten unter uns. „Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen." So bringt es wiederum die Offenbarung des Johannes (21,3b - 4) auf den Punkt. Das ist ein Text der genau jene prophetischen Überlieferungen Israels zitiert, die in der Liturgie der Adventszeit eine so zentrale Rolle spielen. Sie haben einen Horizont, der über die blosse Erinnerung an die Geburt des Sohnes hinausreicht - und doch darin (und in seinem Leben, Sterben und Auferstehen) ihr entscheidendes Unterpfand haben. Gott ist immer noch der Kommende bis er alles in allem ist, bis keine Trauer, keine Mühsal, kein Tod mehr ist, bis ihm alles lebt und sein Leben und sein Licht alles erfüllt, aber Christinnen und Christen glauben, dass er jetzt in Jesus kommt, weil er in der Verborgenheit und Verhüllung des Fleisches in ihm schon gekommen ist und er darin den endgültigen Ort seiner Ankunft schon erreicht hat. Die Johannesoffenbarung macht genau dies wiederum deutlich, wenn sie ausserhalb ihrer Deutung des Gottesnamens als „der war, der ist und der kommen wird" auschliesslich vom Kommen Jesu redet und zwar derart, dass Jesus selbst sein nahes Kommen verheisst: „Er, der dies bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald." (22,20a).

Der dreifache Advent

Der Advent, den wir liturgisch begehen, ist also viel mehr als eine blosse Vorbereitungszeit auf die Feier von Weihnachten und Epiphanie. In ihm geht es unter einem bestimmten Aspekt, eben dem des Kommens, um das Ganze. Denn die Wirklichkeit insgesamt steht im Zeichen des Advents des Gottes Israels, der alles in allem werden will. Im Fleisch Jesu aber hat der Advent Gottes schon jetzt seine tiefste Radikalität erreicht: In ihm ist Gott uns im wahrsten Sinn des Wortes „auf den Leib gerückt" (Peterson). Genau diese Menschlichkeit Gottes im Antlitz Jesu soll aber zunehmend alle Wirklichkeit bestimmen und an sich ziehen und sie ist schliesslich das Mass an dem sie gemessen wird, wenn Gott seine unmittelbare Nähe endgültig gegen allen Widerstand durchsetzt. Die geistliche Überlieferung hat so von einm dreifachen Advent gesprochen: In Jesus ist Gott endgültig gekommen und hat seinen Advent, seine Ankunft bei und unter uns, verwirklicht, in Jesus wird er kommen, wenn er alles in allem wird und so alle Wirklichkeit unter das richtende Mass seiner Menschlichkeit (Mt 25) stellt, in Jesus, dem durch sein Pascha, seinen Übergang vom Tod zum Leben in Kreuz und Auferstehung, erhöhten Herrn, ist er auch jetzt der immmerzu Kommende - in der öffentlichen Feier der Liturgie und in der Intimität des Herzens: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir." (Off 3,20).

Dynamik der Verheissung

Wie also die Wirklichkeit insgesamt im Zeichen des Advents Gottes steht, so auch (und deshalb!) die Liturgie der Kirche als ganze: Sie ist Feier des Kommens Gottes. In diesem Sinn ist die ganze Jahresfeier der Kirche adventlich bestimmt, genau so, wie diese ganze Jahresfeier im Zeichen des österlichen Mysteriums steht. Es sind nur jeweils unterschiedliche Akzente, die gesetzt werden, unterschiedliche Aspekte, unter denen das ganze Heilswerk begangen wird: So wie die Feier der Osternacht auf die Wiederkunft des Auferstandenen ausblickt, so weiss die Feier des Kommens Gottes im Advent und im gesamten Weihnachtsfestkreis darum, dass das Kommen Gottes im Fleisch sich im Pascha des Herrn, in Tod, Auferstehung und Erhöhung erfüllen muss.
Im Advent im engeren Sinn aber stellen wir uns in die Verheissungsgeschichte des Gottes Israels nicht in der Weise, dass wir uns fiktiv in die Zeit vor der Menschwerdung Gottes in Jesus zurückversetzen würden. Denn diese Fiktion würde ja auch bedeuten, dass diese Verheissungsgeschichte Gottes mit Israel mit der Menschwerdung im Grunde überholt wäre, schon einfachhin in die Erfüllung übergegangen wäre. Sie wäre ein blosses, unmögliches „als ob". Nein, vielmehr ist es so, dass, wenn wir im Hl. Geist der Verheissungsgeschichte Gottes mit Israel gedenken, in dem wir die Worte der Propheten Israels hören, mit ihnen den kommenden Gott rufen und die Lieder des Advents singen, diese Geschichte für uns alles andere als überholt ist. Sondern sie gewinnt im Blick auf den Gott, der jetzt kommt und der endgültig kommen wird, je aktuelle Gegenwart. Wir stellen uns darin an die Seite des ersterwählten Volkes Gottes, auch wenn uns der Glaube unterscheidet, dass in Jesus, dem fleischgewordenen Wort, in dem alle Worte der Verheissung geborgen und aufbewahrt sind, uns schon das Unterpfand des endgültigen, offenbaren Kommen Gottes in Herrlichkeit gegeben ist, das die Verheissungen erfüllt.

Beziehungsreiches Spiel

Die Liturgie des Advents weiss dabei virtuos mit diesem dreifachen Aspekt des Kommens Gottes zu spielen. Insbesondere in der Tagzeitenliturgie, die im Advent besonders reich und gewichtig ist, gibt es eine Fülle von Texten, bei denen völlig offen ist, ob der erste (Menschwerdung), der zweite (liturgische Feier/Weihnachten) oder der dritte Aspekt (Eschatologie/Wiederkunft) gemeint ist. Oft geschieht dies dadurch, dass zwar ein bestimmter Aspekt akzentuiert wird, die anderen aber zumindest mitschwingen. Diese gelenkte Offenheit der Bedeutung wird wohl bewusst eingesetzt, um die ganze Bedeutungsfülle des Kommens Gottes zu vergegenwärtigen. Dabei werden die Texte überdies miteinander vernetzt, so dass sich ein unbegrenztes, potentiell unendliches Gefüge von Sinnbezügen ergibt - wie in grossen poetischen Texten! Allein die beiden ersten Antiphonen der Adventsliturgie seien bespielhaft genannt: „Verkündet unter den Völkern: Seht, Gott kommt, unser Retter". Hier wird einfach der Blick für das rettende Kommen Gottes überhaupt und seine universale Reichweite geöffnet. Die zweite Antiphon aber lautet: „Seht, der Herr wird kommen und alle seine Heiligen mit ihm. An jenem Tag leuchtet ein helles Licht. Halleluja." Wenn dieser Text zunächst den eschatologischen Aspekt der Wiederkunft Christ akzentuiert, so ist hier doch auch der offene Himmel der lukanischen Weihnachtserzählung mit den himmlischen Heerscharen und dem die Hirten umstrahlenden Glanz mitzuhören. (Mit den Heiligen sind hier nach biblischem Sprachgebrauch ja die Engel gemeint.) Dieses Sinngefüge der unterschiedlichen Aspekte des Kommens Gottes vernetzt sich nun aber wiederum mit Texten, die auf das Kommen nicht direkt Gottes, sondern messianischer Gestalten sich beziehen. So wird durch die Bezüge zwischen den Texten das Geheimnis der Menschwerdung umkreist. Weitere Texte beziehen sich auf die verwandelnde Kraft, die Segens- und Heilsfülle, die mit dem Kommen Gottes verbunden ist: Der Beziehungsreichtum der Texte weitet sich ins Unermessliche. Die Liturgie öffnet buchstäblich ein Sinnuniversum in das die Feiernden sich so hineinnehmen lassen können, dass sie damit an kein Ende kommen.

Der Advent des Herrschers ohne Waffen

In dieses Sinnuniversum der Liturgie aber sind doch einige Pfade gelegt, die helfen, dass man sich darin nicht verliert. Zwei möchte ich abschliessend nennen. Der eine ist so etwas wie ein Grundbild, dass eine Fülle von Aspekten in sich zusammenschliesst. In ihm laufen antike Vorstellungen ausserhalb der jüdisch-christlichen Überlieferung mit der Bildwelt der Bibel zusammen. Man könnte dieses Grundbild nennen: „Der König kommt zu seiner Stadt". Es spiegelt sich z.B. in der zweiten Antiphon der Lesehore am 1. Adventssonntag: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Fürchte dich nicht, denn bald kommt dein Heil." Dieses biblische Bild des Königs, der nach Jerusalem kommt, hatte für den antiken Hörer noch einen ganz anderen Kontext. Von ihm aber leitet sich der Name „Advent" her. „Adventus" nannte man den ersten Besuch des Herrschers in einer Stadt. Dem, der mit grossem Gefolge kam, zog man dabei entgegen. Ein solcher Herrscheradvent war mit Heils- und Segenserwartungen verbunden. Diese Vorstellung konnte - wie die zitierte Antiphon zeigt - an biblische Überlieferungen und Bilder anknüpfen und sich damit verbinden. Sie wurde so zum liturgischen Grundbild für das Kommen Gottes. Programmatisch stellen einige alte Leseordnungen (viele evangelische Leseordnungen bis heute) das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem an die Spitze der Adventsevangelien. Dieser Text wird so zum zusammenfassenden Symbolbild für das Kommen Gottes in Jesus. Dies spiegelt sich z.B. auch in vielen Adventsliedern wie Georg Weissels „Macht hoch die Tür", das Psalm 24 mit der Einzugsperikope kombiniert, in Paul Gerhardts „Wie soll ich dich empfangen" oder Friedrich Rückerts „Dein König kommt in niedern Hüllen", dessen zweite Strophe wunderbar den paradoxen Charakter dieses „Herrscher"-Advents auf den Punkt bringt, in dem sie die Sprache des Kampfes, der Agonalität menschlicher Herrschaft, spricht, um sie zugleich aufzuheben:

O mächt'ger Herrscher ohne Heere
gewalt'ger Kämpfer ohne Speere,
o Friedefürst von grosser Macht!
Es wollen dir der Erde Herren
den Weg zu deinem Throne sperren,
doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.

Der zweite „Pfad" aber spiegelt sich in einigen Antiphonen von Magnifikat und Benediktus (wiederum z.B. am 1. Adventssonntag) an prominenter Stelle und täglich in den kleinen Horen. Denn dort wird sehr unmittelbar auf das Geschehen der Verkündigung und damit auf die Menschwerdung Gottes Bezug genommen, so z.B.: „Fürchte dich nicht, Maria; du hast Gnade gefunden beim Herrn. Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären." (2. Vesper des 1. Advents) Zur Kontrapunktik der Liturgie des Advents gehört also auch, dass hier nun doch eine Sinnlinie entsteht, die von Anfang an, dann aber verdichtet über die Messevangelien der letzten Tage des Advents, zum Weihnachtsfest führt. Diese Linie aber hebt den überschiessenden Bedeutungsreichtum der Aussagen über das Kommen Gottes nicht auf, sondern bündelt ihn. Sie strukturiert das offene Gefüge dieser Aussagen durch den konkreten Bezug auf das kommende Fest und zugleich zieht sie das Licht dieser Aussagen auf sich. Die Geburt Jesu wird von dorther noch einmal ganz anders lesbar: Weihnachten wird buchstabiert in den Dimensionen des Kommen Gottes. Dann ist Jesus der Immanuel, in dem Gott zu unüberbietbarer Nähe kommt und sein Mitsein mit uns ganz realisiert.

Martin Brüske

Stichwort

  • Urspr. Vorbereitungszeit auf Epiphanie (Dreikönige) als Tauftermin in Gallien
  • Bis zu sechs Sonntage vor Weihnachten / 40 Tage vor Epiphanie
  • In Gallien parallell zur österlichen Busszeit (Taufvorbereitung!)
  • Deshalb heute noch: liturgische Farbe violett, Wegfall des Gloria
  • Heute noch sechs Wochen in der Liturgie von Mailand (drei Täler im Tessin!)
  • Rom: nach der Mitte des 5. Jh.s eingeführt; vier Sonntage

Wider-Worte

„Wenn man den Advent im wesentlichen nur als Vorbereitung auf die Krippe auffasst, dann ist freilich eine echte Sehnsucht nicht möglich, weil die Erfüllung dieser Sehnsucht ja schon längst gegeben ist; es bleibt dann nur die unechte ‚als-ob'-Sehnsucht als ‚Stimmung'."


Johannes Pinsk (1891-1957)

Brauchtum

Der Adventskranz stammt wohl aus dem evangelischen Christentum Norddeutschlands. Er symbolisiert das in der Dunkelheit wachsende Licht der Verheissungen Gottes, dem Weihnachtslicht entgegen.

Geistlicher Impuls

„Weil Christus der Advent Gottes ist, wird auch das Sakrament seines österlichen Heilsmysteriums Advent. Jede Messfeier ist Advent, weil sich in ihr das gottmenschliche Kommen Christi vollzieht ...

Bis zur Vollendung der Zeit muss Christus angekündigt, erwartet und geboren werden. Durch alle Zeiten muss die Kirche dem Herrn den Weg bereiten ... sie muss, wie Israel, ihre eigene Hoffnung und Erwartung lebendig erhalten; sie tut es durch den kultischen Kontakt mit den heiligen Texten der Propheten, besonders in der Feier der Adventsliturgie. Noch mehr: In der Hoffnung greift die Adventsliturgie voraus und erwartet die glorreiche Wiederkunft als ein unmittelbar bevorstehendes Ereignis. ...

Zwischen der Geburt des Herrn und seiner glorreichen Wiederkunft gibt es eine lange Adventszeit, die eschatologische Zeit, die das Kommen Gottes bedeutet, das immer erfüllt und zugleich öffnet ... Die vier Adventswochen sind wie ein Zeitsymbol dieser messianischen und eschatologi- schen Adventszeit ...; sie suchen den, den sie schon gefunden haben, und Gott erfüllt die Sehnsucht der Suchenden, damit sie noch eifriger suchen und den Kommenden in seiner Gnadenfülle finden und aufnehmen können."


Jean Hild OSB


Lesetipp

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Advent. Heft 4/2009 der Zeitschrift Bibel heute.

Links

Liturgische Texte

Welcher Adventtyp sind Sie? Selbsttest aus der Kärtner Kirchenzeitung