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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Friedensritus thumbFriedensritus

Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch!

In einer Zeit, in der die Medien täglich über Kriege, Konflikte und Terror berichten, ist die Sehnsucht nach Frieden gross. Da bekommt ein kleiner Ritus in der Messe besonderes Gewicht: der Friedensritus.

Dieser Ritus ist eine der vielen Wiederentdeckungen der Liturgischen Bewegung des 20. Jahrhunderts und der Erneuerungen im Zuge des II. Vatikanischen Konzils. Über Jahrhunderte war er nämlich für die Gemeinde vollständig verschwunden und wurde nur in Kleriker- und Ordensgemeinschaften sichtbar vollzogen. Ansonsten war er ein privater und still zu vollziehender Akt des zelebrierenden Priesters. Dabei war am Anfang alles ganz anders gewesen.

Ein erhellender Blick in die Bibel

Nach dem Johannesevangelium hinterlässt Jesus am Abend vor seinem Tod seinen Jüngern den Heiligen Geist, die Kraft Gottes, die Verbindung mit ihm und dem Vater, die Wirklichkeit, die uns in der Gegenwart Gottes leben lässt (vgl. Joh 14,15-26). Und er hinterlässt seinen Frieden. Er betont, dass dieser Friede anders ist als der Friede, den die Welt geben kann (vgl. Joh 14,27). Für Jesus, seine Jüngerinnen und Jünger und überhaupt für die Menschen in der Tradition des Alten Testaments war Friede mehr als einfach nur Abwesenheit von Gewalt, Terror und Krieg. Der hebräische Schalom meint ein Heilsein, Ganzsein und Wohlsein des ganzen Menschen.

Ebenso ist es schon Erfahrung aus biblischer Zeit, dass Welt und Mensch nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft diesen Frieden zu schaffen. Er ist Geschenk – und für gläubige Menschen Geschenk Gottes. Aus dem Wissen heraus, dass dieser Frieden nicht einfach machbar ist, hat sich in der orientalischen Welt der Wunsch nach Frieden zum alltäglichen Gruss entwickelt, im hebräischen «Schalom» oder im arabischen «Salem aleikum».
Diesen Frieden wünscht nun Jesus nicht nur den Seinen, sondern er schenkt ihn ihnen. Sein Beispiel lehrt die Jüngerinnen und Jünger, dass nicht Böses mit Bösem vergolten werden muss, dass man die Spirale der Gewalt durchbrechen kann, dass man selbst seine Feinde lieben kann. Aber noch eine zweite Dimension ist wichtig. Denn Jesus zeigt durch sein Beispiel nicht einfach nur, wie Frieden unter Menschen möglich werden kann. Er, so betonen es viele Stellen des Neuen Testaments, heilt auch das Verhältnis des Menschen zu Gott, erlöst den Menschen, stiftet Frieden und versöhnt mit Gott (vgl. Röm 5,10). Durch ihn erhält der Mensch Zugang zum Vater. Letztlich ist diese enge Beziehung zu Gott in Jesus die Ermöglichung par excellence des Friedens auch unter den Menschen.

Der Friedensritus im Laufe der Geschichte

So ist es nicht verwunderlich, dass der Friede auch in die Feier christlicher Liturgie übernommen wurde. Schon die frühesten überlieferten schriftlichen Quellen von Gottesdiensten sprechen davon, dass man sich als Zeichen des Friedens mit dem heiligen Kuss grüsste und dass man mit diesem Kuss das Gebet besiegelte. Dabei ist der Friedensritus in verschiedenen Traditionen an verschiedenen Stellen der Eucharistiefeier zu finden. Einerseits unmittelbar vor der Gabenbereitung, andererseits vor der Kommunion. An den verschiedenen Zeitpunkten im Ablauf der Eucharistie kann man verschiedene Akzente des Friedensritus ablesen. Vor der Gabenbereitung betont er die Wichtigkeit, vor der heiligen Handlung des Hochgebets als Gedächtnis des Opfers Christi Frieden zu schliessen mit seinen Mitmenschen, so wie Jesus es in der Bergpredigt fordert: "Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe" (Mt 5,23-24). Der Zeitpunkt vor der Kommunion betont mehr den Aspekt, dass der wahre Friede, der, den die Welt nicht geben kann, von Christus kommt, dem Fürst des Friedens, der unsere Schritte lenkt auf den Weg des Friedens (Lk 1,79), der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut (Kol 1,20), der unser Frieden schlechthin ist (Eph 2,14). Gemeinsam haben diese beiden Orte, dass der Friedensgruss jeweils nicht nur vor etwas Wesentlichem stattfindet, sondern auch danach: zum einen nach dem Gebet der Gläubigen, also nach den Fürbitten, zum anderen nach dem Hochgebet. Beide Male ist der Friedensgruss inspiriert durch das Gebet, das ja Zwiesprache und Begegnung mit Gott ist. Und er bezeugt es gleichzeitig als Gebet nicht nur der Einzelnen, sondern als Gebet der Gemeinschaft. Die Sehnsucht nach Frieden blieb wohl durch alle Zeiten bestehen, aber in der römischen Liturgie verschwand der Friedensritus bis auf ein kurzes still gesprochenes Gebet des Priesters. Es verschwand vor allem das Zeichen des Friedens, der «heilige Kuss», die Umarmung. Vielleicht wurde dieser als zu subjektiv, zu emotional, zu intim oder gar als unanständig empfunden.

Der Friedensritus in der heutigen Liturgie

Bei der Liturgiereform nach dem II. Vatikanischen Konzil wurde auch der Friedensritus erneuert. Seinen Platz hat er gefunden zwischen der Doxologie nach dem Vater Unser und dem Gesang des "Lamm Gottes" zur Brotbrechung. Er besteht aus drei Teilen: einem Gebet um den Frieden, das direkt an Christus gerichtet ist, dem Friedensgruss, bei dem der Priester zur Gemeinde spricht oder singt: "Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch." Und die Gemeinde antwortet: "Und mit deinem Geiste." Im dritten, fakultativen Teil fordert schliesslich der Diakon oder Priester die Gemeinde auf, "einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung" zu geben. Wie dieses Zeichen genau aussieht, ist nicht festgelegt. Wohl sind die Bischofskonferenzen aufgefordert, genauer zu definieren, wie dieses Zeichen aussehen soll, im deutschsprachigen Raum ist dies aber bis jetzt nicht geschehen. In den meisten Fällen reicht man sich die Hand, in seltenen Fällen umarmt man sich. Dieser letzte Teil des Friedensritus war und ist jedoch nicht unumstritten. Viele Menschen freuen sich an der Emotionalität dieses Moments und an der persönlichen Begegnung mit den Mitfeiernden. Er wird  von vielen als wohltuend spontaner Moment im sonst recht strengen Ablauf der eucharistischen Liturgie erlebt. Andere wiederum stören sich eben genau an dieser Emotionalität und Spontaneität oder haben aus hygienischen oder sonstigen Gründen Mühe mit dem gegenseitigen Händeschütteln. So war gerade dieses "Zeichen des Friedens" in der Zeit seiner Einführung in vielen Gemeinden eher ein Grund für Unfrieden, und er ist es leider teilweise heute noch.

Der Friede Christi ist ein Geschenk

Eine wesentliche Wiederentdeckung der Liturgischen Erneuerung war, dass Gottesdienst zuerst und vor allem Heilshandeln Gottes am Menschen ist. Auch in der Liturgie gilt: Gott handelt zuerst am Menschen, der sich ihm ganz und gar verdankt und ohne ihn zu nichts fähig ist. So ist alles Reden und Tun des Menschen im Gottesdienst Antwort auf Gottes Wort und Tat. Das gilt auch für den Friedensritus. Frieden im umfassenden Sinne des biblischen Schalom kann nicht gemacht werden. Der Friede Gottes, der uns zugesagt ist, übersteigt sogar unser Begreifen (vgl. Phil 4,7). Friede ist Gabe Gottes. Und erst als Gabe wird er Aufgabe. Weil Christus uns seinen Frieden hinterlassen hat, sind wir in der Lage, diesen Frieden zu leben. Der Moment des Friedensritus unmittelbar vor der Kommunion verleitet zur Ansicht, dass wir uns durch den Friedensschluss oder die Versöhnung mit unseren Mitmenschen zuerst "würdig" machen müssten für den Empfang der Kommunion. Sich selbst aber für Gott würdig zu machen, ist dem Menschen nicht möglich. Möglich ist, dass der Mensch in der Begegnung mit Christus in der Kommunion die Kraft empfängt, auch auf den Nächsten zuzugehen. So gesehen ist der Friede nicht Voraussetzung für die Feier der Eucharistie, sondern deren Frucht. Der ganze Friedensritus muss transparent machen, dass der Friede zuerst ein Geschenk ist und nicht eine Forderung, die uns wie eine Last niederdrückt. 

Zur Art und Weise des "Zeichen des Friedens"

Als Zeichen des Friedens hat sich im deutschsprachigen Raum das Händeschütteln etabliert. Das entspricht durchaus auch dem ausserliturgischen Brauch, einen Friedensschluss mit Handschlag zu besiegeln. Es ist allerdings nicht die einzige Form, die praktiziert werden kann. In manchen Kulturen gilt der Handschlag als zu formell, in anderen wiederum als zu intim. So wird es bei manchen vielleicht ein Kuss oder eine herzliche Umarmung sein, bei anderen vielleicht nur ein freundliches Zunicken, ein kurzes Anlächeln oder ein netter Blick. Oft stehen im Gottesdienst ja auch Paare nebeneinander, bei denen ein Händeschütteln absurd wäre. Diese Herausforderung, die stimmige Form zu finden, darf aber nicht dazu führen, dass dieses wunderbare Zeichen einfach weggelassen wird, auch wenn es in den liturgischen Büchern nicht zwingend vorgeschrieben ist. Wichtig ist, dass die für die Liturgie Verantwortlichen in den Gemeinden bei jedem einzelnen Teilnehmer und jeder einzelnen Teilnehmerin ein tiefes Bewusstsein für den Sinn des Friedenszeichens wecken und stärken, das die Aufmerksamkeit auf die vielfältigen Arten dieses Zeichens schärft. Es darf nicht dazu kommen, dass jemandem, der Mühe hat mit dem Händeschütteln, mangelnder Friedenswillen unterstellt wird. Weil beim Zeichen des Friedens persönliche Begegnung von ganz unterschiedlichen Menschen geschieht, muss es sorgfältig und mit Fingerspitzengefühl praktiziert werden. Vielleicht zeigt sich gerade darin der Frieden, wie der Erzbischof von Toulouse, Robert Le Gall sagt: "Was die Art und Weise des Friedenszeichens angeht, sind eine grosse Diskretion und ein Respekt vor den Gewohnheiten des anderen das erste Zeichen des Friedens, das angeboten werden kann."

Die Kommunion ist das Zeichen des Friedens

Die Wiederentdeckung des Friedensritus mit dem Gebet um den Frieden, dem Friedensgruss und dem Zeichen des Friedens ist mehr als nur altehrwürdig, weil schon in frühester kirchlicher Zeit praktiziert. Es ist auch heute wichtig und notwendig, nicht nur, weil wir uns alle nach Frieden sehnen, sondern auch, weil dieser Ritus tiefer in das hineinführen kann, was in der Kommunion und überhaupt in der Eucharistiefeier geschieht: Wir als Kirche sind und werden jeweils neu, trotz aller Streitigkeiten und Uneinigkeiten, durch den Leib Christi selbst Leib Christi. Der heilige Augustinus (354-430) drückte dies in einer Predigt unübertroffen aus: "Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid: der Leib Christi" (Sermo 272). Letztlich ist die Kommunion die eigentliche Form der Gemeinschaft, der Moment, in dem der Friede und die Einheit mit Gott und untereinander ganz konkret geschehen. Insofern kann und muss der Friedensritus dann auch relativiert (d.h. in Beziehung gesetzt) werden. Er ist wichtig und er ist auch als Moment der spontanen persönlichen Begegnung in der Liturgie besonders, aber er darf nicht ausufern und wichtiger werden als die Eucharistie, die gefeiert wird und die Kommunion, die unmittelbar darauf geschieht und auf die er letztlich vorbereitet. So macht es z.B. wenig Sinn, wenn der Priester und die Ministranten in die Gemeinde ausströmen, um möglichst vielen den Frieden zu wünschen, während der Altar mit den Eucharistischen Gaben verwaist zurückbleibt. Als Zeichen des Friedens genügt es, seinen Banknachbarn den Friedensgruss zu entbieten. Bewähren müssen sich beide, der Friedensritus und die Kommunion, die Gemeinschaft mit Gott und untereinander, dann später, über den Gottesdienst hinaus, im alltäglichen Leben. Für diese anspruchsvolle und bleibende Herausforderung soll das in der Liturgie Erfahrene uns befähigen und stärken.

Martin Conrad

 

Ablauf

Nach dem sogenannten Embolismus am Ende des Vater Unser und der Doxologie, lädt der Priester zum Friedensgebet ein. Dann spricht er folgendes Friedensgebet: "Herr Jesus Christus, schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben deiner Kirche und schenke ihr nach deinem Willen Einheit und Frieden." Dann spricht oder singt er mit ausgebreiteten Händen der Gemeinde zugewandt: "Der Friede des Herrn sei allezeit mit Euch." Und die Gemeinde antwortet: "Und mit deinem Geiste." Darauf kann der Diakon oder der Priester dazu auffordern, einander die Bereitschaft zu Frieden und Versöhnung zu bekunden; etwa: "Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung." Auf den Friedensritus folgt die Brotbrechung und das "Lamm Gottes". 

Geistlicher Impuls 

"[Die Hand ist] so recht ein Organ, in welchem der Mensch die eigene Seele offenbaren kann. Und die fremde aufnehmen; denn auch das tut er mit der Hand. Oder ist es nicht ein Aufnehmen der fremden Seele, wenn Einer die entgegengestreckte Hand des Begegnenden ergreift? Mit allem, was aus ihr an Vertrauen, Freude, Zustimmung, Leid spricht?"

Romano Guardini, Von Heiligen Zeichen, 1922

Facts

"Es folgt der Friedensritus, in dem die Kirche Frieden und Einheit für sich selbst und die ganze Menschheitsfamilie erfleht
und die Gläubigen einander die kirchliche Gemeinschaft und die gegenseitige Liebe bezeugen, ehe sie das Sakrament empfangen.
Was das Friedenszeichen selbst betrifft, ist seine Form von den Bischofskonferenzen entsprechend der Eigenart und den Bräuchen der Völker zu bestimmen. Es ist aber angebracht, dass jeder nur mit den Nächststehenden auf schlichte Weise das Friedenszeichen austauscht."

Grundordnung des Römischen Messbuchs, 2002, Nr. 82

Wider-Wort

"Jedenfalls wird es nötig sein, im Augenblick des Austausches des Friedenszeichens definitiv einige Missbräuche zu vermeiden, wie z.B. [...], dass zu einigen Anlässen, wie den Hochfesten von Ostern und Weihnachten, oder bei Ritualmessen, wie Taufe, Erstkommunion, Firmung, Trauung, heilige Weihen, Ordensprofess und Begräbnis, das Zeichen des Friedensgrusses Gelegenheit bietet, um Gratulationen, Glückwünsche oder Beileid unter den Anwesenden auszudrücken."

Rundschreiben der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung: "Die rituelle Bedeutung des Friedensgrusses in der Messe" Nr. 6c

Heilige Schrift

Johannes 14,27

"Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht."

Links

Rundschreiben der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung: "Die rituelle Bedeutung des Friedensgrusses in der Messe "

Gebet von Papst Franziskus um Frieden (8. Juni 2014) 

Geistliche Handreichung der Liturgischen Kommission für Österreich zum Friedensritus in der Feier der Heiligen Messe (2016)