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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Spirale thumbKirchenjahr

Zeit als Sakrament des ewigen Lebens

Eine Pause, um Schönes auszukosten, eine Unterbrechung in schlimmer Zeit, mehr noch: nicht verbrauchbare Zeit, das wär's! Hier setzt das Festjahr der Kirche an.

Ursprungserfahrung

Eine wirklich üble Unterbrechung ist der Ursprungspunkt des liturgischen Jahres: Da wurde einer ans Kreuz geschlagen, die Seinen sind geflohen, immerhin: die Frauen bleiben bis in die Verlassenheit des Sterbens solidarisch. Zeitriss im Erleben des Sterbenden, Aufstand der Gefühle im Leben der Frauen, Zersprengung der Jünger. Drei Tage später erkennen ihn selbst die engsten Vertrauten nicht mehr. Etwas radikal Neues ist passiert, das er selbst ihnen behutsam zeigen und aus den Schriften geduldig erschliessen muss. Etwas wird anders mit der menschlichen Zeit, wenn nur einer vom Tod nicht mehr festgehalten wird, der Urinstanz der Vernichtung biographischer Zeit, sondern aufsteht von den Toten. Mehrfach lässt dieser sich in neuer Gestalt am ersten Tag sehen. Der erste Tag ist der Beginn der Schöpfungswoche. Da war alles neu. Der Tod kam erst später hinzu. Hier ist wieder alles neu: 8. Tag als Beginn einer noch nicht dagewesenen Zeit, neue Schöpfung. Dieser 3. Tag nach der Kreuzigung ist zugleich 1. Tag der Schöpfungswoche und der 8. Tag als Beginn der nicht mehr vergehenden, bleibenden Zeit. Sicher zu Beginn des 2. Jahrhunderts und vielleicht schon im 1. Jahrhundert versammeln sich Christen zur Feier dieses später Sonntag genannten Tages. Dass Gott diesen einen Menschen, seinen Sohn, auferweckt, ist radikale Unterbrechung und Neubeginn. Der Sonntag ist historisch der Urfeiertag und (theo)logisch Keimzelle des liturgischen Jahres als „Ekstase" einer anderen Zeit.

Entfaltung

Der Überschritt vom Tod zum Leben als einmaliges Ereignis und als wiederholte Begehung in sonntäglichen Zusammenkünften steht also am Anfang des Kirchenjahrs. Braucht es mehr? Kann überhaupt sinnvoll noch etwas Hinzukommen? Die Ursprungsfülle des neuen Lebens lässt sich durch weitere Feste nicht vermehren. Es ist alles da. „Das Mysterium Christi ist immer gleich und gleich voll", so hielt vor Jahrzehnten der Benediktiner Odo Casel fest. Alles messende Denken versagt hier. Und doch haben Christen im 2. Jahrhundert begonnen, Ostern zu feiern, wenig später auch Pfingsten und im 4. Jahrhundert schliesslich auch Weihnachten und Erscheinung des Herrn. Die Fülle des Mysteriums, des Geheimnisses Christi, erschliesst sich im Lauf der ersten christlichen Jahrhunderte allmählich immer tiefer. Dafür, so der evangelische Dogmatiker Gerhard Sauter, gibt es einen „innere(n) Grund: Die Wahrnehmung der Gegenwart Gottes in Jesus Christus ist so überreich, dass sie nicht in einem einzigen Fest untergebracht werden kann. Sie muss, ebenso wie im Bekenntnis, entfaltet werden ... Und weil der Glaube in seiner ganzen Fülle nicht auf einmal geglaubt werden kann, darum verteilt er sich auf verschiedene Christusfeste. Er spaltet sich dabei nicht auf, sondern markiert in mehrfacher und irreduzibler Hinsicht die Christusbegegnung der Kirche."

Verdichtung der Zeit

Der Auferstandene existiert in der Zeit des 8. Tages, einer unverbrauchten und unverbrauchbaren Zeit, einer Zeit, die andauert, Zeit ewigen Lebens, und hat doch zugesagt, immer dort zugegen zu sein, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Wo Christen ihm in ihrer Zeit begegnen, muss es ein gemeinsames Zeitlevel geben zwischen ihm und den Menschen. Begibt er sich in menschliches Zeitmass oder verdichtet er menschliche Zeit für einen Augenblick zur andauernden Zeit seines Lebens? Steht die Zeit, die kein Mensch von sich aus nicht ergreifen kann, in der Christusbegegnung doch schon in die menschliche Zeit hinein? Von theologisch sehr verschiedenen Ausgangspunkten her würden sowohl Casel wie Sauter das bejahen. Für Casel beginnt in Christus schon jetzt die unverbrauchbar neue Zeit, die dem bürgerlichen Jahr gegenübersteht. Das christliche Festjahr ist für ihn „Symbol, Sakrament des ewigen Lebens." Die Zeit des Festes wird zur sakramentalen Verdichtung der anderen Zeit. Was passiert dann mit der natürlichen Zeit des Werdens, Vergehens und erneuten Werdens? Darauf antwortet Sauter: „In dieses Zeiterleben tritt Jesus Christus ein, und er tritt zwischen unser Werden und Vergehen, in das wir verflochten sind. Seine Person vermittelt uns an eine andere Zeit, und diese Zeit bleibt mit seiner Person verbunden. So entsteht der Gegenrhythmus zum Jahreslauf ...".

Spirale

Wie bringt man zum Ausdruck, dass immer dieselbe überschwängliche Fülle in den christlichen Festen gefeiert wird und sie doch immer wieder, an jedem einzelnen Sonn- oder Festtag die menschliche Zeit unterbricht? Immer gleich und immer radikal neu – das ist die Grunderfahrung der christlichen Festzeit. Eine Spirale, die sich um eine Mitte windet, ist an keinem Punkt ihrer Dynamik dieselbe. Ihre Mitte, der österliche Überschritt vom Tod zum Leben bleibt immer gleich. Diese Spirale kann kein perpetuum mobile sein, also sich selbst unaufhörlich immer neu in Gang setzen. Ihre Dynamik gewinnt sie immer nur von einer Person her, von Jesus Christus. Er selbst ist die Mitte des liturgischen Jahres als des besonderen, der Kirche eigenen Zeitmusters.

Gunda Brüske

Stichwort

  • Über viele Jahrhunderte prägendes christliches Zeitmuster
  • Kern des liturgischen Jahres: Sonntag und Ostern
  • Beginn des Kirchenjahrs: 1. Advent
  • Langsame geschichtliche Ausdifferenzierung mit explosiver Festentwicklung im 4. Jh.
  • Begriff Kirchenjahr erst 16. Jh. wohl im Gegensatz zum bürgerlichen Jahr der Händler
  • Metaphern: Spirale, Schraube, sich hinaufwindender Weg auf einem Berg, Kreis, nicht: Linie oder Pfeil

Wider-Worte

„Die etablierten Festkreise vermitteln hier [in modernen Gesellschaften] weit weniger Identitätswissen und ihre Begehung ist weitestgehend unverbindlich geworden.

Dennoch sorgt die Legalisierung der alten identitätsfundierenden Jahrestage in staatlichen Feiertagen für ein Fortbestehen der kulturell dominierenden Gruppenzeit im Modus einer Benutzung ohne Begehung."

Thomas Schmidt (2000)

Geistlicher Impuls

"Alle Festtage der Kirche sind Gedächtnistage an geschichtliche Heils-, also Befreiungstaten; sie künden konkrete Befreiung, deshalb stiftet ihre Mitfeier Freiheit, und die Festfeier bleibt unerfüllt, wenn die Feiergemeinde nicht die solidarische Sorge für die Menschen ihrer Umwelt übernimmt. Die terminlich wiederholten Feste der Kirche bezeugen die stete Gefährdung des menschlichen Daseins, auch die stete Gefährdung der Kirche selbst - sofern sie des Glaubens gebrechen kann; sie bezeugen, daß das Dasein nur dann und dort gut ist, wo eine vergangene Heilstat - das Paschamysterium Jesu Christi - in einer solchen ureigenen Betroffenheit als die eigene Befreiung übernommen wird, so dass dadurch Zukunft in Freiheit sich eröffnet. Die sich wiederholenden Feste der Kirche hören nie auf, die Christen in das entscheidende solidarische Verhalten wahrer Betroffenheit einzupflichten: mit dem Martyrer Jesus Christus für das Heil der anderen einzustehen, weil unser Schicksal in Gefährdung und möglicher Freiheit gemeinsam ist."

Angelus Albert Häussling OSB (1974)

Facts

"Die neue Zeit der Auferstehung erfüllt vom österlichen Triduum [das ist die Zeit vom Abend des Hohen Donnerstags bis Ostern] als ihrer Lichtquelle her das ganze liturgische Jahr mit ihrer Klarheit. Das Jahr wird vor und nach den drei Österlichen Tagen Schritt für Schritt durch die Liturgie verklärt. Es ist wirklich ein 'Gnadenjahr des Herrn' (Lukas 4,19). Die Ökonomie des Heiles ist in der Zeit am Werk, aber seitdem sie im Pascha Jesu vollendet und der Heilige Geist ausgegossen wurde, ist das Ende der Geschichte als 'Vorgeschmack' bereits vorweggenommen, und das Reich Gottes tritt in unsere Zeit ein."

Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 1168

Lesetipp

Anselm Grün, Michael Reepen: Heilendes Kirchenjahr. Das Kirchenjahr als Psychodrama. Münsterschwarzach, seit 1985 zahlreiche Auflagen.

Links

Arbeitshilfe aus der Diözese Linz (2006):

Feste des Kirchenjahrs werden hier aus menschlichen Grunderfahrungen und theologisch erschlossen.

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