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Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Hintergrund

Kirche sein im Feiern und Verstehen

Christus der Erbarmer thumbKyrie

Klingende Christusikone

Das erste Gebet im Ablauf der Messe ist ein Christusruf, ein intensives, aussagekräftiges Gebet, mit dem die versammelte Gemeinde den Herrn in ihrer Mitte begrüsst.

Jubelruf

Das griechische Kyrie eleison gehört wie die hebräischen Worte Hosanna und Halleluja zu den ältesten Rufen der Christenheit. Die Formeln liegen so gut auf der Zunge, dass sie bis heute in der Originalsprache überliefert werden.
Während Halleluja und Hosanna jüdische Wurzeln haben, stammt der Ruf Kyrie eleison ursprünglich aus der heidnischen Welt. Mit ihm begrüssten die Menschen der Antike allmorgendlich das Aufgehen der Sonne, die sie als Gottheit verehrten. Und wenn der Kaiser oder ein siegreicher Feldherr in eine Stadt einzog, wurde er von der Volksmenge mit schallenden Kyrie eleison jubelnd empfangen. Das Kyrie eleison (Herr, erbarme dich!) ähnelt also in seiner Bedeutung dem Hosanna (Hilf doch!), mit dem Christus als König bei seinem Einzug in Jerusalem vom Volk begrüsst wurde, und der uns im Sanctus der Messe wieder begegnet.

Bekenntnis

Kyrie eleison ist nicht nur ein Freudenruf. Es meint auch soviel wie: Wir anerkennen deine Grösse und Macht und unsere Abhängigkeit von dir. Wir sind auf deine Gunst und Zuwendung angewiesen. Nur du kannst uns begnadigen, uns die Schuld erlassen. Darum rufen wir dein Erbarmen an. Der Kyrie-Ruf war in der antiken Welt so verbreitet und beliebt, dass die Christen ihn aufgenommen, aber bewusst auf Christus hin umgedeutet haben. Damit war das Bekenntnis verbunden: Wir verehren nicht die römischen Kaiser oder die heidnischen Götter, sondern Jesus Christus. Er ist die wahre Sonne, die nicht untergeht, er allein der Herr (vgl. Gloria). Herr sein meint hier nicht als willkürlicher Despot regieren, sondern als Menschenfreund und Heiland, als Herrscher über Leben und Tod. Wer Christus als Herrn anruft, wird gerettet (vgl. Römerbrief 10,13), so wie der blinde Bartimäus (Markus 10,46-52).
Wenn wir im Gottesdienst Kyrie eleison rufen, ist uns kaum bewusst, wie gefährlich es zu Zeiten der Christenverfolgung war, Christus als Kyrios zu verehren. Und wie ist es heute? Geben wir Christus in unserem Leben den Vorrang vor anderen "Herren"?

Litanei

Ein so kurzer, prägnanter Ruf wie das Kyrie eleison wurde natürlich nicht nur ein einziges Mal vorgetragen, sondern ständig wiederholt. Dazwischen riefen einzelne Sänger Preisungen wie: "Du Sieger, du König" oder Bitten wie: "Bring uns Frieden, rette uns!". So entstand die Kyrie-Litanei. Die Kirchen des Ostens kennen in ihrer Liturgie bis heute eine Vielzahl mit Gebetsanliegen verbundener Kyrie-Rufe. Im 5. Jh. fanden sie den Weg nach Rom. Wie beliebt das Kyrie war, zeigt sich nicht zuletzt in den zahlreichen Erweiterungen, die es im Laufe der Zeit erfahren hat. Aus deutschsprachigen Erweiterungen entstand die erste Form des deutschen Kirchenliedes, die sogenannte Leise (vgl. Praxistipp).

Engelsgesang

Um das Jahr 600 baute Papst Gregor der Grosse das Kyrie um, er liess die Bitten weg und legte die Zahl von drei Rufen fest, die jeweils zweimal wiederholt wurden, wobei die zweite Dreiergruppe lautete: Christe eleison. Das neunmalige Rufen verweist auf die neun Chöre der Engel, die Christus bei seiner Wiederkunft begleiten. Die Engelschöre begegnen uns auch beim Gloria und beim Sanctus. Die Messe findet im Himmel und auf der Erde statt. Zusammen mit den Engeln besingen wir das Kommen Jesu Christi im Heute der liturgischen Feier, wir blicken aber auch voraus in der Erwartung, dass seine Herrschaft in der Welt einmal vollends in Erscheinung tritt.

Lobpreis

Die Kyrie-Rufe sind ein unverzichtbares Element des Eröffnungsteils der Messe. Sie folgen in der Regel auf das Allgemeine Schuldbekenntnis oder auf das sonntägliche Taufgedächtnis. Nachdem ihnen Vergebung zugesprochen bzw. ihr Taufbewusstsein gestärkt wurde, können sich die Feiernden freudig und freien Herzens Christus als ihrem Herrn zuwenden. Indem sie zu Beginn der Messe seinen Namen anrufen, anerkennen sie ihn als denjenigen, der im Gottesdienst auf sie zukommt und an ihnen handelt. Wo zwei oder drei in seinem, nicht in ihrem eigenen Namen, versammelt sind, da ist er mitten unter ihnen (Matthäus 18,20). Wie der blinde Bartimäus wissen sie um ihre Heilsbedürftigkeit und erwarten Rettung von ihm. Das "Erbarme dich" versteht sich dabei nicht als Wiederholung des Bussaktes, sondern als dessen Fortsetzung. Es meint soviel wie: Wir preisen dich, der du Erbarmen schenkst.
An Sonn- und Festtagen werden die Kyrie-Rufe in einem grossartigen Lobgesang auf Gott Vater und Sohn, im Gloria, weitergeführt. Dieses setzt sich seinerseits aus verschiedenen Rufen zusammen, wobei auch das "Erbarme dich (unser)" wiederkehrt.

Christusikone

Das Kyrie der Messe kann auch ein Bussakt sein, dann nämlich wenn das Schuldbekenntnis selber als Kyrie-Litanei gestaltet wird (wie es das Messbuch als dritte Form vorsieht). Litaneien haben die Eigenschaft, dass sie in eine Grundstimmung einschwingen helfen und eine Haltung vertiefen. Bei der Kyrie-Litanei darf es nicht dazu führen, dass die Gemeinde nur um sich selber kreist. Der Blick richtet sich ganz auf Christus hin aus, die Erweiterungen in der Litanei wollen nicht Selbstanklagepunkte sein ("Wir haben dies oder jenes unterlassen oder getan"), sondern verstehen sich als Christus-Anrufungen, z.B. "Herr, Jesus Christus, du bist vom Vater gesandt, zu heilen, was verwundet ist".
Die Kyrie-Rufe sind eine Art "gesungene Christus- oder Festtagsikonen, die das Geheimnis des Tages und der Zeit vor Augen stellen" (Guido Fuchs). Je nach Anlass und Situation tritt der Charakter von Bitte, Bekenntnis oder Lobpreis in den Vordergrund.

Josef-Anton Willa

 

Stichwort

  • Kyrie eleison (griechisch) = Herr, erbarme dich
  • Dreifacher Ruf, der von der Gemeinde wiederholt wird
  • in der byzantinischen Liturgie als Anliegenlitanei verbreitet (Ektenie)
  • wesentliches Element des Eröffnungsteils der Messe im Anschluss an das Schuldbekenntnis/Taufgedächtnis oder als Teil des Bussritus
  • kann durch weitere Wiederholungen und Texteinschübe (Christustitel) zu einer Kyrie-Litanei ausgeweitet werden oder als Eröffnungsgesang (z.B. Leise) dienen
  • Im Kyrie ruft die Gemeinde den in ihrer Mitte gegenwärtigen Herrn an und bittet um sein Erbarmen (vgl. Allgemeine Einführung ins Messbuch Nr. 30)

Praxis-Tipp

Das Kyrie sollte nicht bloss gesprochen, sondern – wie es sich für eine Akklamation gehört - von der ganzen Gemeinde gerufen bzw. gesungen werden. Zur Verlebendigung trägt der Wechselgesang mit einem Kantor und/oder einem Chor bei, wobei die einzelnen Rufe mehrmals wiederholt werden können.
Das Messbuch sieht die Möglichkeit vor, die Kyrie-Rufe als Eröffnungsgesang zu gestalten. Ausdrücklich werden auch die Leisen erwähnt. Sie gehören zu den ältesten deutschsprachigen Kirchenliedern und sind nach wie vor beliebt. Im KG finden sich folgende Leisen: 308 Es flog ein Täublein weisse; 331 Gelobet seist du Jesus Christ; 352 Nun sei uns willkommen; 388 Ehre sei dir, Christe; 436 Christ ist erstanden; 474 Christ fuhr gen Himmel. Ein neueres Christus-Lied in der Art der Leisen ist: 207 Du bist der Weg.

Wider-Worte

„Wenn die Messe Epiphania Domini [= Erscheinung des Herrn] ist, dann gehört zur Begrüssung des Kommenden die Kyrielitanei, die man nie leichten Herzens weglassen sollte. Sie ist kein ‚Mea culpa', von vielen gemurmelt, sondern ein dahinwallendes Lied der Gesamtgemeinde. Sie ist der grosse Gruss der Ecclesia an ihren Herrn, jedenfalls wichtiger als die wortreichen Begrüssungen, die der Priester an die Gemeinde zu richten pflegt."

Theodor Schnitzler

Geistlicher Impuls

„Kyrios – das ist das Wort, das die griechischen Übersetzer des Alten Testaments für den Gottesnamen gebrauchen. Wenn man es auf Christus anwendet, ist es dankbar lobendes Bekenntnis der göttlichen Würde dessen, der im Tode den Tod überwunden hat: ein Bekenntnis, das in den Zeiten der ersten Verfolgungen den Kopf kosten konnte. So befolgt selbst ein so extrem kurzes Gebet die Regel, dass zuerst Lob und Dank stehen und aus ihnen die Bitte fliesst. Weil du unser Herr bist, der siegreich durch den Tod ins Leben ging, deshalb bitten wir dich: Erbarme dich über uns und über die ganze Welt. Das heisst mehr als ‚Hilf uns'. Das heisst: Nimm uns alle mit auf den Weg durch den Tod ins Leben.
Wenn man das ‚Kyrie eleison' so begreift, versteht man, dass einer der grossen Frommen des Ostens, Nikolaus Kabasilas, im 14. Jahrhundert gesagt hat: ‚Dieses Gebet vermag alles zugleich auszusagen.' Er wollte sagen: Eigentlich genügt es, sich selber und alle, die uns lieb sind, und alle Welt hineinzuempfehlen in das rettende Erbarmen dessen, der für uns gestorben und auferstanden ist.

So rufen wir jedesmal an der Schwelle der heiligen Messe, in der dieses Erbarmen gefeiert wird, in der es ‚leibhaftig' auf uns zukommt: Kyrie eleison."

Aus: Balthasar Fischer, Von der Schale zum Kern. Kurzansprachen zu Zeichen und Worten der Liturgie. Einsiedeln u.a. 1979.